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Gesundheitsbooster Gesang Singen ist gesund – vor allem, wenn es Spass macht

Singen ist mehr als eine festliche Tradition. Ob unter dem Weihnachtsbaum oder während des Chanukkafestes: wissenschaftliche Studien zeigen, Singen kann das Immunsystem und die Lungenfunktion stärken, und sogar Stress reduzieren.

Die deutsche Musikwissenschaftlerin und Psychologin Kathrin Schlemmer darüber, warum Singen guttut – aber in welchen Fällen ein Lied wie «Jingle Bells» belastend wirken kann.   

Kathrin Schlemmer

Musikwissenschaftlerin und Psychologin

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Kathrin Schlemmer ist Professorin für Musikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Ihr wissenschaftliches Interesse gilt dem Zusammenspiel von Musik und Gedächtnis sowie dem Phänomen des Absoluten Gehörs. Neben ihrer Forschung ist sie seit vielen Jahren passionierte Chorsängerin und pflegt ihre musikalische Leidenschaft auch abseits der Forschung.


SRF Wissen: Haben Sie heute bereits gesungen? 

Kathrin Schlemmer: Heute Morgen hatte ich einen Ohrwurm von einem englischen Chorlied: «Tomorrow shall be my dancing day» von John Gardner. Rhythmisch ist es anspruchsvoll, aber durch viele Chorproben kann ich es auswendig.   

Können Sie uns drei Gründe nennen, warum jede und jeder mal wieder singen sollte? 

Singen hat zahlreiche gesundheitliche Vorteile, aber ich möchte klarstellen: Singen wirkt nicht wie eine Glückspille. Seine Wirkung basiert auf einem komplexen Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Singen wirkt am besten, wenn es Freude und Begeisterung weckt.  

Jede und jeder kann grundsätzlich singen. Das ist eine Fähigkeit, die uns Menschen angelegt ist.

Studien belegen dennoch, dass vor allem gemeinsames Singen in Chören relativ zuverlässig positive Gefühle auslöst. Dabei werden Hormone wie Endorphine und Oxytocin ausgeschüttet, die nicht nur die Laune heben, sondern auch Gefühle von Zusammenhalt und Gemeinschaft stärken. Natürlich verfolgen aber professionelle Sängerinnen und Sänger oft andere Ziele als die Förderung ihrer Gesundheit. 

Und es ist wichtig zu betonten: Jede und jeder kann grundsätzlich singen. Das ist eine Fähigkeit, die uns Menschen angelegt ist – mit wenigen Ausnahmen. Nämlich Personen, die Tonhöhen und Rhythmen schwer oder gar nicht unterscheiden können.  

Amusie: Wenn Musik nur Geräusch ist 

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Amusie ist eine Wahrnehmungsstörung, bei der Menschen Schwierigkeiten haben, Rhythmen zu klatschen, Töne zu unterscheiden oder Melodien zu erkennen. Sprich: Für Betroffene klingt Musik wie ein unorganisiertes Geräusch, obwohl ihr Hörvermögen völlig intakt ist.  

Es gibt zwei Formen von Amusie. Etwa 1,5 Prozent der Bevölkerung ist von der angeborenen Form betroffen, bei der das Gehirn Musik von Geburt an nicht richtig verarbeiten kann.

Weitaus häufiger ist die erworbene Amusie, die nach Hirnschäden durch einen Unfall oder Schlaganfall auftritt. Dabei können Schädigungen am Frontal- oder Temporallappen oder am Hörkortex eine zentrale Rolle spielen.

Können Sie präzisieren, welche Vorteile Singen mit sich bringt? 

Mein Kollege Gunter Kreutz, der sich seit Jahren mit diesem Thema beschäftigt, bringt es gut auf den Punkt: Singen ist für viele Menschen eine bedeutsame Aktivität, bei der sie Selbstwirksamkeit erfahren. Ähnlich wie beim Sport oder bei anderen Hobbys macht man etwas, das Freude bereitet, fordert, aber nicht überfordert – das aktiviert Ressourcen und steigert das Wohlbefinden.  

Eine der besonderen Eigenschaften des Singens ist, dass es die Atmung vertieft und rhythmisiert. Diese regelmässige Atmung entspannt und kräftigt die Lunge zugleich.

Wie Chorsingen die Abwehrkräfte stärkt

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Chorprobe in einer Kirche mit Jungen und Dirigenten.
Legende: SRF

Singen kann das Immunsystem unterstützen, zeigt etwa diese Studie des Forscherteams um Gunter Kreutz.

Die Forschenden untersuchten Chorsängerinnen und Chorsänger und verglichen deren Hormonwerte vor und nach einer gemeinsamen Probe. Das Ergebnis: Nach dem Singen waren die Werte des Immunglobulin A, eines zentralen Antikörpers der Schleimhäute, signifikant erhöht. Dieses Protein spielt eine Schlüsselrolle bei der Abwehr von Krankheitserregern, besonders in den Atemwegen.

Zudem liess sich dieser Effekt nicht beim blossen Zuhören von Musik beobachten, sondern trat nur beim aktiven Mitsingen auf.

Wovon hängen diese positiven Effekte ab? 

Da muss ich etwas ausholen. Es gab einmal die Idee, eine musikalische Hausapotheke zu entwickeln – mit Songs gegen Kopfschmerzen, Übelkeit oder andere Beschwerden. Aber das funktioniert meistens nicht gut, weil Musik eng mit persönlichen Erinnerungen und Vorlieben verknüpft ist.  

Die grössten gesundheitlichen Vorteile entstehen beim gemeinsamen Singen – weniger durch den Akt des Singens selbst, sondern durch den sozialen Zusammenhalt, den es schafft.

Generell kann Musik intensive Erinnerungen hervorrufen und Emotionen verstärken. Wer Weihnachtslieder wie «Jingle Bells» nicht ausstehen kann, sollte sie besser nicht täglich singen. 

Die Musikwissenschaft hat die positiven Effekte des Singens bislang aber eher für das gemeinsame Singen festgestellt. Sie erklärt diese weniger mit dem Akt des Singens selbst, sondern mit dem sozialen Zusammenhang, den es schafft.

Kann Singen auch belastend sein? 

Singen hat keine negativen Nebenwirkungen, aber der Kontext kann es belastend machen. Beispielsweise, wenn Jugendliche vor der Klasse vorsingen müssen und sich dabei blossgestellt fühlen, oder bei Wettbewerben und Konzerten, die mit Leistungsdruck einhergehen.  

Das Gespräch führte Nina-Lou Frey. 

Experiment Puls-Chor

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Logo der Puls-Aktion
Legende: srf

Wie wirkt sich Singen auf die Gesundheit aus? Lassen sich die Effekte messen? Die SRF-Gesundheitssendung «Puls» wollte es wissen und rief 2015 einen Chor ins Leben, der sogar am Schweizer Gesangfest in Meiringen teilnahm.

Serie: Puls-Chor

Radio SRF 1, Treffpunkt, 18.12.2024, 10:05 Uhr ; 

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