Homöopathie in der Schweiz
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Soll die Grundversicherung weiterhin für Globuli zahlen?
Homöopathie ist bei vielen Menschen hierzulande sehr beliebt – und gleichzeitig sehr umstritten. Nun befindet das BAG über Sein oder Nichtsein von Globuli in der Grundversicherung.
Autor:
Irène Dietschi
07.02.2024, 08:43
Wirkt Homöopathie? Und vor allem: Wie wirkt sie? Die zahlreichen Kritiker aus der Wissenschaft sagen: gar nicht. Was verabreicht werde, sei nichts als Wasser kombiniert mit salbungsvollen Worten – also reine Esoterik.
Auf dieser Basis hat letzten Oktober eine Privatperson einen Antrag beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) gestellt, die bisherige Kostenübernahme durch die Grundversicherung zu überprüfen. Seither läuft beim BAG ein sogenanntes Umstrittenheitsverfahren.
Wer kann eine «Umstrittenheitsabklärung» einleiten?
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Grundsätzlich sind gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) alle Personen und Organisationen berechtigt, die Vergütung von Leistungen durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung infrage zu stellen. Dabei geht es in der Regel um die Frage, ob eine Leistung die sogenannten WZW-Kriterien erfüllt, ob sie also wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich ist.
Meistens sind es Spitäler, Hersteller oder ärztliche Fachgesellschaften, gelegentlich Patientenorganisationen oder Versicherungen, die einen solchen Antrag stellen.
Auf Anfrage von SRF schreibt das BAG: «Das Begehren um Prüfung muss begründet und die Begründung muss dokumentiert sein. Das heisst: Es muss konkret dargelegt werden, dass begründete Zweifel bestehen, ob die Leistung die WZW-Kriterien erfüllt. Auch müssen entsprechende Belege referenziert werden. Nicht oder nicht ausreichend begründete Begehren werden vom BAG zur Vervollständigung zurückgewiesen. Und, wenn keine ausreichende Begründung eingebracht wird, nicht weiterverfolgt.
Grundsätzlich steht es auch einer Einzelperson offen, einen entsprechend genügend begründeten Antrag mit entsprechenden Belegen einzureichen. Einzig eine Meldung, weil jemandem eine Leistung zum Beispiel ‘auf den Wecker geht’, genügt somit nicht.»
Der Grundsatz: der Patientin, dem Patienten nicht schaden
Yvonne Gilli ist Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin. In ihrer Hausarztpraxis im St. Gallischen bietet die ehemalige Grünen-Nationalrätin auch Komplementärmedizin an. Viele ihrer Patientinnen und Patienten wünschten sich eine Behandlung mit Globuli.
Wo die Globuli herkommen
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Die Homöopathie, Ende des 18. Jahrhunderts vom deutschen Arzt Samuel Hahnemann ins Leben gerufen, beruht auf dem sogenannten Ähnlichkeitsprinzip: Ein Leiden wird mit jenem Wirkstoff behandelt, der das Leiden hervorruft.
Hahnemann versuchte zu seiner Zeit, die Dosis systematisch zu verkleinern und verdünnen. Diese Verdünnung – die Homöopathie spricht von «Potenzierung» – wurde in den letzten 40 Jahren zunehmend auf die Spitze getrieben.
Heute ist die Verdünnung so stark, dass sich die Ausgangssubstanzen in den Globuli chemisch nicht mehr nachweisen lassen. Das ist der Hauptgrund, weshalb die Homöopathie kritisiert wird.
Gleichzeitig ist Yvonne Gilli fest in der Schulmedizin verankert, und dies an exponierter Stelle: Seit drei Jahren präsidiert sie die FMH, die Dachorganisation der Schweizer Ärztinnen und Ärzte. Gilli sagt, ob als FMH-Präsidentin oder Schulmedizinerin oder Homöopathin, sie fühle sich stets demselben elementaren Grundsatz verpflichtet: «Es gilt primum non nocere – der Patientin, dem Patienten nicht schaden. Und natürlich wäre das Ziel, dass sie wieder gesund werden.»
Was ein Physiker zur Homöopathie meint
Stephan Baumgartner ist Homöopathie-Forscher am Institut für Komplementäre und Integrative Medizin (IKIM) der Universität Bern. Mit Esoterik, sagt der promovierte Physiker, habe er nichts am Hut: «Es gibt über 450 randomisierte klinische Studien zur Homöopathie. Und nicht wenige von denen zeigen statistisch signifikante Effekte gegenüber Placebos.»
Von fehlender Evidenz für die Wirksamkeit der Homöopathie kann aus meiner Sicht keine Rede sein.
Darüber hinaus sei die Wirksamkeit in mehreren Meta-Analysen, also Zusammenfassungen bereits vorliegender Studien, überprüft worden. Auch dort gebe es einige, die statistisch signifikant seien. Stephan Baumgartner folgert: «Von fehlender Evidenz für die Wirksamkeit der Homöopathie kann aus meiner Sicht keine Rede sein.»
Grundlagenforschung der Homöopathie
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Stephan Baumgartner führt am Institut für Komplementäre und Integrative Medizin (IKIM) selbst keine klinischen Studien zur Homöopathie durch. Als experimenteller Physiker ist er in der Grundlagenforschung tätig: Er untersucht die Effekte homöopathischer Präparate chemisch-physikalisch im Labor, zum Beispiel an Pflanzen oder in Zellkulturen.
Zu Beginn seiner Laufbahn, erzählt er, sei bei ihm die pure naturwissenschaftliche Neugierde gestanden, ob an Homöopathie etwas dran sei oder nicht. Inzwischen sei er zum Schluss gekommen, es spreche sehr viel dafür, «dass Homöopathika keine Placebos sind».
Baumgartner illustriert dies anhand seines Wasserlinsen-Experiments: Wasserlinsen sind empfindliche Pflanzen, die auf dem Wasser schwimmen. In Experimenten hätten sie am IKIM die Wasserlinsen mit Arsen leicht vergiftet, was ihr Wachstum gehemmt habe. «Anschliessend behandelten wir die Wasserlinsen mit potenziertem Arsen.»
Diese homöopathisch behandelten Wasserlinsen wuchsen anschliessend schneller als die mit reinem Wasser behandelten. Solche Effekte hätten sie in vielen Experimenten gesehen. Deshalb, sagt Stephan Baumgartner, stehe es für ihn nach knapp 20 Jahren Forschung auf diesem Gebiet «ausser Frage, dass in diesen homöopathischen Präparaten etwas drin ist, das wirkt.» Was dieses Etwas genau ist, weiss er allerdings nicht.
Wieso es die Homöopathie schwieriger hat als die Akupunktur
Am Universitätsspital Basel hat die Komplementärmedizin – ergänzend zu den schulmedizinischen Massnahmen– einen hohen Stellenwert. Bei Krebserkrankungen der Frau, also Brust- und Eierstockkrebs, etwa.
Aber die Homöopathie hat es schwer neben den anderen Methoden: Bei Homöopathie sei die Evidenz geringer als etwa bei der Akupunktur, sagt die Ärztin Isabell Ge, Leiterin der komplementärmedizinischen Sprechstunde. In den Leitlinien und Empfehlungen seien zwar einige homöopathische Studien aufgeführt. Etwa wenn es darum gehe, den Heilungsprozess nach einer Brustkrebs-Operation zu unterstützen. Aber: «Diese Studien haben leider nicht die Qualität, beziehungsweise die Ergebnisse haben nicht die Signifikanz erreicht, um das eindeutig empfehlen zu können.»
Es ist Aufgabe der Wissenschaft, den Nachweis zu erbringen, was Placebo ist und was Wirkung.
Ob die Homöopathie wirkt oder nicht, bleibt also vorläufig eine Glaubensfrage. Für FMH-Präsidentin Yvonne Gilli gilt bei Fragen zur Wirksamkeit der Homöopathie ganz klar: «Es ist Aufgabe der Wissenschaft, den Nachweis zu erbringen, was Placebo ist und was Wirkung.»
Eine Knacknuss, die nun beim BAG liegt. Ein Entscheid, ob das Verfahren weitergeführt werde, sei frühestens Ende 2024 zu erwarten.
Echo der Zeit, 8.2.2024, 18:00 Uhr