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Überforderte Patientinnen und Patienten
Aus Rendez-vous vom 06.09.2013. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 53 Sekunden.

Ist der mündige Patient überfordert?

Die Vorstellung von Ärzten als Halbgötter in weiss ist Vergangenheit. Heute soll nicht mehr der Arzt allein, sondern die Patientin oder der Patient selbstbestimmt über medizinische Therapien (mit-)entscheiden können. Doch schon gibt es Fachleute, die warnen: Das sei eine Zumutung.

Wer möchte nicht selber entscheiden, wenn es um die eigene Gesundheit geht? Doch diese Autonomie hat auch ihre Schattenseiten, findet die Biologin und Sozialwissenschaftlerin Silja Samerski: «Patienten sollen heute Entscheidungen treffen, die die Ärzte selber nicht mehr treffen können – beispielsweise die Wahl zwischen einer Chemotherapie und der Bestrahlung eines Tumors – Behandlungen, die beide ganz verschiedene Risiken mit sich bringen.» Damit werde die ganze Verantwortung den Patienten aufgebürdet.

Risiko-Management statt Behandlung

Beim Arzt werde man zudem immer häufiger nur noch als Risikoprofil wahrgenommen – der Patient als Risiko-Bündel, die Diagnose als Risiko-Assessment, die Behandlung als Risiko-Management. «Das Individuum verschwindet heute aus der Medizin», sagt Silja Samerski.

Statt am einzelnen Menschen, orientiere sich die heutige Medizin zunehmend an Statistiken und Wahrscheinlichkeiten. Dabei müsse man im Kopf behalten, dass Risiken nie etwas über den Einzelfall aussagten, sagt Silja Samerski: «Wenn Sie einer Frau sagen, sie habe aufgrund eines Gentests ein 60-prozentiges Risiko für Brustkrebs, dann wähnt sie sich vielleicht schon krank. Dabei heisst das bloss: Wenn sie hundert Mal leben würde, würde sie 60 Mal an Brustkrebs erkranken, 40 Mal aber nicht.»

Was gibt’s Besseres?

Doch hat die Medizin überhaupt etwas Besseres zu bieten, als die bestmögliche Risikoabschätzung, aufgrund derer die Patientin schliesslich selber entscheiden muss? Nein, findet Alexander Kiss, Leiter Psychosomatik am Universitätsspital Basel, der u.a. auch Kommunikationskurse für die Krebsliga durchführt: «Voraussagen für eine einzelne Person sind fast unmöglich.» Entsprechend habe man gar keine andere Wahl, als sich an Risikoprofilen auszurichten.

Nicht zum Paternalismus zurück

Auch Walter Weber, Leiter des Brustzentrums des Universitätsspitals Basel, will nicht zur alten Bevormundung durch die Ärzte zurück: «Dann würden wir keine zeitgemässe Medizin mehr betreiben».

Auch Silja Samerski will allerdings nicht zum Paternalismus zurück, «aber ich denke, dass wir grundsätzlich diskutieren müssen, welche Zumutung diese risikobasierte Medizin sowohl für Ärzte als auch für Patienten mit sich bringt.»

Von Fall zu Fall

Walter Weber plädiert denn auch dafür, von Fall zu Fall zu entscheiden. Denn Studien zeigten, dass tatsächlich ein nicht zu vernachlässigender Teil der Patientinnen und Patienten eine klare Ansage des Arztes weiterhin wünscht: «Gewisse Patientinnen möchten weiterhin nach dem alten Muster behandelt werden: ‹Sagen sie mir jetzt einfach, was richtig ist, Herr Doktor›.» Dann antworte er jeweils: «Wenn sie meine Mutter wären oder meine Schwester, dann würde ich Ihnen Folgendes raten...»

Und so kommt es denn vielleicht auch mehr auf die Art der Vermittlung und auf ein gutes Patienten-Gespräch an, als auf den Gegensatz zwischen mündigen Patienten und den früheren Halbgöttern in weiss.

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