Kleine Kinder sind die Stiefkinder der Forschung. Ärzten bleibt deshalb nicht viel anderes übrig, als nach bestem Wissen und Gewissen zu behandeln. Sie bewegen sich dabei gezwungenermassen vielfach in einer juristischen Grauzone, denn unzählige Medikamente sind nur an Erwachsenen getestet und nur für sie zugelassen. Jeder Kinderarzt kennt das Dilemma.
Was heisst «nicht zugelassen»?
«Die Eltern müssen dann unterschreiben, dass sie dieser Behandlung zustimmen – und es ist natürlich schwierig zu erklären, dass dieses Medikament für Kinder nicht zugelassen ist. Das kommt dann meistens so rüber: ‹Es ist nicht gut genug getestet und gut genug verstanden›, und das ist eine ganz schwierige Situation», sagt Ulrike Halbsguth, Assistenzärztin in der Kinderheilkunde am Inselspital Bern.
Nicht zugelassen heisst, dass ein Medikament in einem bestimmten Bereich noch nicht ausreichend erforscht ist oder dass das Ergebnis der Forschung noch nicht bei den Behörden eingegeben und freigegeben wurde. Gerade in der Kinderheilkunde sind solche Studien rar. Das liegt einerseits daran, dass man mit kleinen, wehrlosen Kindern als Versuchspersonen sehr zurückhaltend ist, denn anders als Erwachsene können sie einer Studienteilnahme nicht selbst zustimmen.
Andererseits brauchen Kinder häufiger Behandlungen wegen angeborener und seltener Krankheiten – und genau für die lohnt sich für Pharmafirmen eine kostspielige Forschung oft einfach nicht.
Langwierige Studien erforderlich
Vielfach hängt die Entwicklung einer Krankheit im Kindesalter auch eng mit der Entwicklung des Kindes zusammen. Deshalb sind Studien langwierig: Sie machen nur Sinn, wenn die kleinen Patienten über Jahre hinweg genau beobachtet werden. Dazu braucht es auch ein vergleichbare Gruppe gesunder Kinder – ebenfalls langfristig in die Studie eingeschlossen. Selbst wenn sich eine ausreichend grosse Gruppe an Studienteilnehmern finden lässt, braucht es für deren fachgerechte Betreuung spezialisierte Einrichtungen und spezialisiertes Fachpersonal.
Das Problem ist also nicht von heute auf morgen zu lösen. Deshalb bedienen sich Kinderärzte in ihrer Not weiterhin an Erwachsenenmedikamenten und versuchen, aus Erfahrungswerten die richtige Dosis zu finden. Das Problem ist nur: Kinderkörper sind keine kleinen Erwachsenenkörper. Organe bei Säuglingen beispielsweise sind noch nicht fertig entwickelt und reagieren auf Wirkstoffe anders.
In Datenbanken Wissen teilen
Um diese Probleme zu entschärfen, wurden vielerorts – beispielsweise auch in Deutschland – bereits für Ärzte international zugängliche Datenbanken initiiert, wo Behandlungserfahrungen erfasst und Beobachtungen fixiert und abgerufen werden können. Sei es zur Dosierung von Erwachsenenmedikamenten für Kinder, zu Behandlungserfahrungen bei seltenen Leiden oder zum «Off-Label-Einsatz» von Medikamenten jenseits des eigentlichen Einsatzbereichs.
Darüber hinaus gibt es seit Anfang des Jahres in Bern «PedNet», eine Dienstleistungsplattform für die klinische Forschung am Kind, die eben diesen Erfahrungsaustausch unterstützen will, juristisch berät oder ganze Teile der Forschungsarbeit übernimmt.