Das Mädchen sitzt alleine auf einem Stuhl mit ihrem Schulzeugnis. Sie spricht traurig in die Kamera, wie gerne sie doch ihrem Grossvater die guten Noten gezeigt hätte. Der aber ist an Lungenkrebs verstorben.
Dann ertönt ein Slogan der Stiftung für Lungendiagnostik: «Täglich sterben in der Schweiz fast zehn Menschen an Lungenkrebs. Wenn man ihn rechtzeitig erkennt, kann er heilbar sein.» Schliesslich wird die URL der Website genannt, wo man sich über ein so genanntes Früherkennungsprogramm informieren kann.
Früherkennung steigert die Chancen
Der Präsident der Stiftung, Jürg Hurter, will mit der Kampagne möglichst viele Menschen erreichen, um hauptsächlich Raucher und Ex-Raucher auf die Gefahr von Lungenkrebs aufmerksam zu machen. «Es sterben jeden Tag fast zehn Menschen an Lungenkrebs, das ist traurig und da ist es höchste Zeit, dass wir handeln», sagt Hurter.
Die Stiftung spricht damit ein grundsätzliches Problem an bei Lungenkrebs. Seit über 40 Jahren hat sich die Sterblichkeit bei dieser Krebsart nicht verändert. Das soll nun ein Früherkennungsprogramm ändern.
Kern des Screenings sind Computertomografen-Untersuchungen. Mit niedrig dosierten CTs sollen potenzielle Tumorzellen oder verdächtiges Gewebe in der Lunge aufgespürt werden. Denn entdeckt man gefährliches Gewebe in einem frühen Stadium, bestehen gute Heilungschancen. Heute findet man die Tumorzellen in der Regel oft erst dann, wenn es zu spät ist.
Seit 2011 liegt eine bedeutende Studie vor, die den Nutzen eines solchen Screenings belegt. Die Mortalität der Untersuchten konnte dank den CT-Bilder bei Personen zwischen 55 und 74 deutlich gesenkt werden, wenn sie sich mindestens drei Jahre am Früherkennungsprogramm beteiligten.
Kritik aus Fachkreisen
Für Milo Puhan, Direktor des Instituts für Epidemiologie an der Universität Zürich, stimmt die Art und Weise, wie man die Bevölkerung für das Früherkennungsprogramm gewinnen will, überhaupt nicht: «Mich stört, dass sehr emotional für eine medizinische Leistung geworben wird. So könnten sich Personen geradezu gedrängt fühlen, obwohl auch bei diesen Untersuchungen gewisse Gefahren und Risiken vorhanden sind.»
Auch Christophe von Garnier, Chefarzt Pneumologie am Inselspital Bern, kritisiert das Programm der Stiftung. Die Zielgruppe, die sich untersuchen lassen soll, sei zu gross und weiche von der Zielgruppe in der amerikanischen Studie ab. Solange keine neue Studien erstellt worden seien, sei es wissenschaftlich fragwürdig, die Zielgruppe zu erweitern, sagt von Garnier.
Auf der Website der Stiftung für Lungendiagnostik empfiehlt man Rauchern ab 50 Jahren und nur 20 Packungsjahren eine Untersuchung zu machen. Im Gegensatz zur amerikanischen Studie wo nur 55- bis 74-Jährige eingeschlossen wurden.
Zielgruppe zu weit gefasst?
Zudem werden sogar Nichtraucher mit einer gewissen Vorbelastung zum Screening zugelassen. «Man risikiert so, den ganzen Vorteil des Screenings zunichte zu machen», sagt von Garnier. Damit meint er die Gefahr, dass bei einer grösseren Zielgruppe auch viel mehr falsch-positive Befunde entstehen, die vor allem mit Risiken und Kosten für den Patienten verbunden sind.
Aus der amerikanischen Studie weiss man: Gut ein Viertel der Untersuchten bekommt einen verdächtigen Befund und muss tiefergehende Untersuchungen wie weitere CTs, Bronchioskopien und chirurgische Gewebeentnahmen über sich ergehen lassen. Am Schluss stellt sich dann aber heraus, dass der verdächtige Befund doch kein Krebs war. Diese falsch-positiven Befunde überwiegen ab einem gewissen Grad den positiven Effekt des Screenings.
Für die Initianten der Stiftung für Lungendiagnostik stehen die Risiken des Screenings im Hintergrund: «Wenn jemand mehr als 20 Jahre geraucht hat und über 50 Jahre alt ist, dann muss man sich keine Gedanken machen, ob ein ordentlich erstelltes CT eine Gefahr sein könnte», sagt Jürg Hurter. Man wolle so viele Menschenleben retten wie möglich.
Das ist auch der Grund, weshalb die Zielgruppe ausgeweitet wurde: «Wir wollen sehen, ob eine Rechtfertigung besteht, auch Leute, die ein wenig jünger sind, mit zu untersuchen. Mit 50 Jahren geht es massiv nach oben mit der Häufigkeit von Lungenkrebs und deshalb haben wir das vorverlegt», sagt Pneumologe Karl Klingler von der Stiftung für Lungendiagnostik. Es sei schlussendlich auch eine ethische Diskussion und nicht nur eine rein medizinische Frage, meint Klingler.
Screening-Programm in Arbeit
«Emotional ist es ein schlagendes Argument, dass man möglichst viele Gefährdete einbezieht. Rein wissenschaftlich gesehen aber besteht eine grosse Gefahr, dass die Wirksamkeit des Früherkennungsprogramm verdünnt oder sogar vernichtet wird», sagt Christophe von Garnier.
Er und Milo Puhan sind denn auch nicht gegen ein Lungenkrebs-Screening, sondern sorgen sich um deren Qualität. Sie organisieren sich nämlich mit allen Universitätsspitäler und der Lungen- und Krebsliga in einer Expertengruppe, die beim BAG zurzeit einen Antrag für ein Screening-Programm hängig hat.