Die Botschaft hat sich fest in unseren Köpfen verankert: Zwei bis drei Liter Flüssigkeit pro Tag braucht der Körper, um gesund zu bleiben. Längst gehört es deshalb zum Lifestyle im Hörsaal, auf dem Bürotisch, in der Handtasche oder am Gürtelhalfter ein Getränkefläschchen griffbereit parat zu haben – allzeit bereit quasi.
Gesundheitsbewusste zwingen sich mitunter auch ohne Durst zum Trinken, um auf die empfohlene Menge zu kommen. «Es gibt keine wissenschaftlichen Grundlagen, die den positiven Effekt solcher Empfehlungen bestätigen würden», weiss Christian Forster, Nierenspezialist am Kantonsspital Olten.
Man darf auf sein Durstgefühl hören!
Für den Spezialisten gibt es allerdings – vor allem evolutionsbiologisch begründet – eine klare Aussage, die man zum Thema durchaus machen kann: «Man darf auf sein Durstgefühl hören!»
Durst bedeute nicht Alarmstufe Rot, wie gerne angenommen wird. Durst ist vielmehr ein verlässlicher Indikator dafür, dass der Körper bei Gelegenheit gerne mehr Flüssigkeit zur Verfügung hätte.
Menschen sind keine Kamele
Wer keinen Durst hat, muss also nicht zwanghaft vorbeugend trinken. Denn anders als Kamele sind wir auch nicht in der Lage, Wasser zu speichern. «Wenn ich jetzt einen Liter Wasser trinke, ist der wahrscheinlich in den nächsten zwei bis drei Stunden wieder in der Toilette verschwunden», erklärt Andreas Bock, Nierenspezialist am Kantonsspital Aarau.
Eine gesunde Niere «im Servobetrieb» sorge dafür, dass der Flüssigkeitshaushalt stimmt und der Körper nicht zu viel Wasser verliert. Und da der Körper via Durst rechtzeitig melde, wenn er mehr Flüssigkeit brauche, könne man sich problemlos auf dieses «interne Meldesystem» verlassen.
Wer also auf seinen Durst hört, macht alles richtig.
Harnstoff muss nicht ausgeschwemmt werden
Wer wann die 2-bis-3-Liter-Regel propagiert hat, ist nicht mehr nachzuverfolgen. Zitiert wurde sie jedenfalls immer wieder gerne.
«Bis in die 1950er Jahre glaubte man, dass es wichtig sei, möglichst viel Harnstoff aus dem Körper zu entfernen, mit der Vorstellung auf diese Weise zu ‹entschlacken›», weiss Andreas Bock. Wird die Flüssigkeitszufuhr mehr als verdoppelt, geschehe das tatsächlich. Sinn macht es aber nicht wirklich: «Harnstoff ist nicht toxisch, daher ist das Entfernen von Harnstoff aus dem Körper belanglos.»
Auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr über den Durst hinaus müssen höchstens Nierensteinpatienten, Patientinnen mit häufigen Harnwegsinfekten und ältere Menschen unter Therapie mit wasserziehenden Medikamenten achten.
Für Mineralwasser-Hersteller wirkt sich eine generelle Mengen-Regel aber natürlich positiv auf den Umsatz aus – kein Wunder werben sie gerne mit den gesundheitlichen Vorteilen eines hohen Wasserkonsums.
Auch essen hilft gegen Durst
Was übrigens gerne vergessen geht: Wir nehmen auch mit dem Essen Flüssigkeit auf. Vor allem Früchte, Gemüse und Salate liefern einen hohen Anteil an Wasser. Spitzenreiter mit über 90 Prozent sind Wassermelone, Gurke, Sellerie, Tomaten, Salate und Grapefruit.
Pro Tag kommt über die Mahlzeiten bis zu einem Liter Wasser aus festen Nahrungsmitteln zusammen.