Während der vergangenen Jahre sind Impfprogramme für Kinder weltweit ins Stocken geraten. Das sagt Catherine O'Brian von der Weltgesundheitsorganisation WHO: «14.5 Millionen Kinder haben 2023 keine Erstimpfung bekommen.» Eine halbe Million mehr als im Jahr davor. Und auch mehr als 2019, dem letzten Jahr vor der Pandemie.
Kinder ohne Impfschutz
Zu den 14.5 Millionen ganz ohne Impfung kommen noch einmal 6.5 Millionen Kinder mit unvollständigem Impfschutz. Diese Kinder haben zwar die erste Impfung gegen Diphterie, Keuchhusten und Tetanus bekommen, die zweite Dosis aber nicht mehr. «Das bedeutet auch, dass sie jene Impfungen verpassen, die bei diesem zweiten Termin zum ersten Mal gegeben werden», sagt O'Brian. Dazu gehört unter anderem die Masernimpfung.
Dreimal mehr Masernfälle weltweit
Entsprechend ist auch bei Masern die Impfrate gesunken. Das habe konkrete Folgen, sagt Ephraim Lemango vom UNO-Kinderhilfswerk Unicef: «2023 hatten wir 300'000 bekannte Masernfälle, das sind dreimal mehr als im Jahr davor. Und die sind alle in ärmeren Ländern, dort wo die Impfrate besonders niedrig ist.»
In der Schweiz liegt die Impfrate bei Masern bei über 95 Prozent, und es gab keine Masernfälle. Genauso wie in 90 weiteren reichen Ländern, deren Impfquote bei Masern hoch genug liegt.
«Der Rückstand beim Impfen ist entstanden, weil Gesundheitssysteme in der Pandemie zeitweise überlastet waren. So mussten Impfprogramme aussetzen. Sie wieder hochzufahren, braucht Zeit», sagt Catherine O'Brian.
Kein Geld für Wiederaufnahme von Impfungen
Insgesamt zeigt sich ein grosser Unterschied zwischen Arm und Reich. «Alle Länder hatten zu Beginn der Pandemie einen Einbruch in ihren Impfprogrammen», so O'Brian. Aber reiche Länder hätten ihre Programme schnell wieder hochgefahren, arme Länder täten sich deutlich schwerer, nicht zuletzt, weil die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie das Geld knapp werden lassen.
Die grosse Mehrheit der ungeimpften Kinder lebt somit in armen Ländern. Ist das Land neben arm noch instabil, hat das schlimme Folgen für diese Kinder.
Ungeimpft in instabilem Land
Mehr als die Hälfte der Kinder ohne vollständige Impfung lebe in Ländern, die politisch instabil oder von Konflikten geprägt seien. Das sei nicht nur ein Grund für die fehlenden Impfungen, sondern verschärfe die Situation noch. O'Brian: «Wenn sie sich wegen des fehlenden Impfschutzes anstecken, ist ihr Risiko tatsächlich an der Erkrankung zu sterben, viel höher als anderswo.»
Hoffnungsvolle Entwicklungen
Die Expertin der WHO und der Experte des Unicef betonen, dass es aus ihrer Sicht auch Erfolge gibt. Zum Beispiel in Afrika. Die Zahl der Kinder ohne Impfung ist dort um mehr als eine halbe Million gesunken, und nicht wie anderswo gestiegen. Und das ist eine besondere Leistung, weil die aktuellen Jahrgänge in vielen afrikanischen Ländern besonders geburtenstark sind.
Ein zweiter Impferfolg gemäss O'Brian und Lemango: Die HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs erreiche immer mehr junge Mädchen. Inzwischen sind 27 Prozent der jungen Mädchen weltweit mindestens einmal geimpft, das sind sieben Prozent mehr als im Vorjahr. Das liege vor allem daran, dass grosse Länder wie Nigeria, Bangladesch und Indonesien diese gerade frisch eingeführt haben.