Auf sie war das Publikum des diesjährigen RNA-Therapiegipfels in Bern besonders gespannt: Annemieke Aartsma-Rus, Professorin für Humangenetik an der Universität Leiden.
Vor fünf Jahren hat sie – zusammen mit anderen Forschenden – das Dutch Center for RNA Therapeutics gegründet. Dort sollen massgeschneiderte RNA-Therapien entwickelt werden für Patienten, die an ultraseltenen Gendefekten leiden. Es ist die ultimative personalisierte Medizin.
Es begann mit Duchenne
Für Aartsma-Rus begann dieser Forschungsweg mit Duchenne Muskeldystrophie, einer vererbbaren, fortschreitenden Muskelerkrankung. Patienten, die Duchenne haben, verlieren ihre Muskeln und damit auch die Funktion ihrer Muskeln. Es fehlt ihnen das Protein Dystrophin.
Der Grund ist eine Mutation im Dystrophin-Gen. Dadurch kann der genetische Code von der RNA nicht mehr korrekt abgelesen und in ein Protein übersetzt werden. Das lässt sich – theoretisch zumindest – korrigieren, und zwar mithilfe von kurzen, synthetisch hergestellten RNA-Molekülen, in diesem Fall sogenannte ASOs.
Bei Duchenne habe das in Zellkulturen und auch im Mausmodell gut funktioniert, beim Menschen jedoch nicht annähernd so gut, sagt Aartsma-Rus.
Gibt man die ASOs ins Blut, gelangen sie irgendwann auch ins Muskelgewebe. Aber ihre Wirkung ist sehr ineffizient.
Die Schwierigkeit sei, die RNA-Moleküle an ihr Ziel zu bringen: die Muskeln. «Der menschliche Körper besteht aus etwa 700 verschiedenen Muskeln, 30 Prozent der Körpermasse besteht aus Muskeln. Gibt man die ASOs ins Blut, gelangen sie irgendwann auch ins Muskelgewebe. Aber ihre Wirkung ist sehr ineffizient. Es wird zwar Dystrophin produziert, aber nur etwa 1 Prozent von dem, was der Körper braucht.»
Keine Zulassung in Europa
In den USA sei die Therapie seit 2016 zugelassen – in Europa nicht, denn ihr Nutzen sei bis heute nicht erwiesen. Ist also alles für die Katz gewesen? Nein, sagt die Forscherin, denn:
Auch bei einer anderen fortschreitenden Muskelerkrankung haben Forscher – in diesem Fall waren es Amerikaner – eine RNA-Therapie entwickelt, nämlich gegen die spinale Muskelatrophie. Bei dieser genetischen Krankheit sind die Nervenzellen betroffen, welche die Muskelfunktion kontrollieren. Und hier wirke die RNA-Therapie mit ASOs. Der entscheidende Unterschied zu Duchenne: «Die RNA-Therapie wirkt nicht in den Muskeln, sondern im Zentralen Nervensystem», sagt Annemieke Aartsma-Rus.
Seltene Krankheit, gleiches Prinzip
Diese Erkenntnisse und ihr eigenes Wissen, das sie bei Duchenne gesammelt hat, will die Forscherin nun bei anderen, sehr seltenen Hirn-Krankheiten einsetzen. Das zugrundeliegende Prinzip sei immer das Gleiche: einen defekten genetischen Code wieder lesbar zu machen, mithilfe synthetischer RNA-Moleküle.
Es gebe eine starke Bewegung, an den Universitäten wie auch bei den Patientenorganisationen, für diese Art von Forschung: massgeschneiderte Therapien für ein Individuum. Auch in der Schweiz sind Gruppen dabei, solche Therapien zu entwickeln.
Lange hätten sie sich in der Forschung davor gescheut, über solche massgeschneiderten N=1-Therapien auch nur nachzudenken, sagt Aartsma-Rus. Doch inzwischen gebe es Beispiele, die zeigten: Es funktioniert. Und: «Da wir wissen, dass wir es tun können, sind wir als Forschende auch moralisch verpflichtet, es zu tun.»