Vor rund 15 Jahren verspricht ein Hirnforscher Grosses. Henry Markram, Professor an der ETH Lausanne (EPFL), will unser Gehirn im Computer nachbauen. Mit seinem Projekt bewirbt er sich bei der EU um Forschungsgelder von rund einer Milliarde Euro. Und nennt es Human Brain Project. Doch von Anfang an zieht er Kritik von Kolleginnen und Kollegen auf sich.
Die Versprechung: Ein Superhirn und neue Therapien
2009 verkündet Markram in einem Ted Talk, dass die Simulation des menschlichen Gehirns innerhalb von zehn Jahren realistisch sei. Drei Jahre später reicht er ein entsprechendes Projekt bei der EU ein.
In den Medien ist von einem «Superhirn» die Rede – aber auch von revolutionären Computertechnologien und Therapien für Hirnerkrankungen. Im Projektplan ist Markram vorsichtiger, mit dem was er verspricht. Insgesamt entsteht dennoch der Eindruck: Hier will jemand das komplette menschliche Hirn simulieren.
Der grosse Knall: Kritikerinnen und Kritiker vereinen sich
2013 erhält Markram gemeinsam mit Hunderten von weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den Zuschlag für ein EU-Flagship-Projekt. Heisst: bis zu einer Milliarde Forschungsgelder.
Das Projekt ist von Anfang an umstritten. Nur ein Jahr nach Projektstart eskaliert der Streit: Rund 800 Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler unterzeichnen einen offenen Brief an die EU. Viele halten den Ansatz, das Gehirn ausgehend von Molekülen und einzelnen Zellen nachzubauen, schlicht für unrealistisch. Stattdessen müsse man vom Verhalten und der Hirnaktivität aus denken, sagte damals Stanislas Dehaene, Direktor der Cognitive Neuroimaging Unit in Paris zum Fachmagazin Nature.
Daraufhin wird eine unabhängige Mediation eingeschaltet und die Führungsstruktur wird demokratisiert. An die Stelle des polarisierenden Henry Markram rückt Katrin Amunts, Professorin für Neurowissenschaften und Direktorin am Forschungszentrum Jülich und Universitätsklinikum Düsseldorf.
Aus der Kritik habe man Lehren gezogen, sagt Amunts heute. Man sei auf die Kritik eingegangen und hätte die Hirnfunktionen wieder mehr in den Fokus gerückt, darunter das menschliche Bewusstsein und Gedächtnis.
Das Vermächtnis: Keine vollständige Hirnsimulation, aber eine Grundlage
Jetzt endet das Human Brain Project. Nach zehn Jahren Forschung steht die vollständige Simulation des Gehirns noch aus. Aber es gibt erste Erfolge. Ein zentraler Verdienst ist die digitale Plattform EBRAINS, auf der Unmengen an Daten über das menschliche Gehirn gespeichert sind. Mit EBRAINS habe das Projekt, so Amunts, «eine Art öffentliche digitale Bibliothek des Gehirns geschaffen, wie sie weltweit in dieser Art und Weise einzigartig ist».
In einzelnen Projekten hat sich das Potenzial der Plattform schon gezeigt: Basierend auf EBRAINS wurden etwa neue Behandlungsmethoden für Menschen mit Epilepsie entwickelt. Niederländische Forschende arbeiten zudem an einer Art Hirnprothese, die blinden Menschen ermöglichen soll, wieder zu sehen. Und Forschende in Lausanne entwickeln Implantate, die bereits wenigen Menschen mit einer Querschnittslähmung ermöglichten, wieder zu gehen.
Nun bleibt abzuwarten, inwiefern die Hirnforschung in Zukunft auf dem Human Brain Project aufbauen kann.