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Unterschätzte Krankheit Viel mehr Hepatitis-Infizierte in der Schweiz als angenommen

In der Schweiz leben deutlich mehr Hepatitis-Infizierte als bisher angenommen. Eine Folge der Migration.

Hepatitis ist eine gefährliche, unterschätzte Krankheit, die in der Öffentlichkeit kaum eine Lobby hat. Das sagt der Mediziner Philip Bruggmann, Präsident des Vereins Hepatitis Schweiz: «Hepatitis ist stigmatisiert und tabuisiert, es geht dabei um sexuelle Ansteckungen oder Übertragungen via Blut – darüber wird nicht gerne gesprochen.»

Unbehandelt oft tödlich

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«Hepatitis» ist der Sammelbegriff für Leberentzündung, die viele Ursachen haben kann: Alkoholmissbrauch, Verletzungen, Krankheitserreger. Manchmal wird bei «Hepatitis» auch von Gelbsucht gesprochen, weil sich bei gewissen Patienten die Haut und das Augenweiss auffällig gelb färben. Häufig wird die Krankheit von Viren verursacht, von denen es fünf verschiedene Formen gibt: A, B, C, D und E.

Virale Hepatitis sind gefährliche Infektionskrankheiten, die Leberschäden oder Leberkrebs verursachen und unbehandelt zum Tod führen können. 1.4 Millionen Todesfälle pro Jahr weltweit sind auf eine Infektion mit Hepatitis B oder C zurückzuführen. Das sind gemäss Hepatitis Schweiz mehr als HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose.

In der Schweiz sterben jährlich 300 Personen an den Folgen von Hepatitis B und C.

Doch über Hepatitis sollte man sprechen. Das zeigen die neusten Zahlen der amerikanischen CDA Foundation , welche die globalen Infektionszahlen von viraler Hepatitis laufend untersucht. Demnach leben hierzulande 32'000 Personen mit Hepatitis C, und gar 44'000 mit chronischer Hepatitis B. Fast doppelt so viele Betroffene wie bisher geschätzt.

Ungenügend versorgt

«Drei Viertel der Hepatitis-B-Betroffenen haben sich im Ausland angesteckt und sind dann in die Schweiz gekommen», sagt Bruggmann. Und hierzulande werden Migrantinnen und Migranten medizinisch nicht oder ungenügend versorgt, auch das zeigen die neuen Daten. Von den 70- bis 80'000 Hepatitis-Infizierten bekommt zwar die Mehrheit eine ärztliche Diagnose, aber nur ein Viertel von ihnen wird auch behandelt.

Eine grosse Gruppe sind dabei Asylsuchende: «Betroffen sind zum Beispiel Flüchtlinge aus Subsahara-Afrika, die oft schon seit Geburt durch ihre Mutter mit Hepatitis B infiziert worden sind», sagt Anna Eichenberger. Die Tropenmedizinerin arbeitet am Berner Inselspital in der Infektiologie, ausserdem leitet sie die ärztliche Sprechstunde des Bundesasylzentrums Bern. Wenn dort bei der Konsultation eine Person über Bauchschmerzen klagt, wird sie hellhörig – und bestimmt die Leberwerte: «Wenn die erhöht sind, suche ich aktiv nach einer Hepatitis.»

Informationen gehen oft verloren

Ohnehin gescreent werden Asylsuchende, die aus Ländern stammen, in denen mehr als zwei Prozent der dortigen Bevölkerung infiziert sind. Ein Bluttest liefert erste Hinweise für eine Infektion. Ist der Test positiv, braucht es weitere Abklärungen.

In solchen Fällen empfiehlt Eichenberger, einen Leberspezialisten beizuziehen – und schreibt dies in die schriftliche Krankenakte der Asylsuchenden. Ab da wird es schwierig: Die Gesundheitsversorgung im Bundesasylzentrum sei zwar gut, hier kümmerten sich Fachleute umfassend um die Flüchtlinge. «Aber was ist dann?», fragt sie rhetorisch.

Dann gehen im föderalen System, das die Verteilung der Asylsuchenden auf die Kantone vorsieht, die medizinischen Informationen oft verloren. Etwas, das auch Philip Brugmann von Hepatitis Schweiz kritisiert: «Wenn die Krankenakten auf Papier dann irgendwo hinwandern, vielleicht zum Sozialamt, aber nicht zum nächsten ärztlichen Versorger, dann haben wir hier ein Problem», kritisiert er. «Wenn die Person dann noch von Kanton zu Kanton weiterzieht, bricht die Versorgung fast mit Sicherheit ab.» Die Folge: unterversorgte Patienten, die einen schweren Verlauf von Hepatitis riskieren, weil sie nicht behandelt werden.

Nationales Programm auch gegen Hepatitis B und C

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In der Schweiz wird die Präventionsarbeit bei HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten durch ein Nationales Programm gesteuert. Dessen Ziel ist es, Neuinfektionen von HIV und anderen sexuell übertragenen Krankheiten zu senken. Das jetzige Programm läuft Ende 2023 aus. Nun sollen im Nachfolgeprogramm, das voraussichtlich ab 2024 gilt, auch Hepatitis B und C integriert werden. Das Programm wird derzeit erarbeitet und geht gemäss Auskunft des Bundesamtes für Gesundheit im Frühsommer in die Vernehmlassung.

Bruggmann plädiert dafür, das System in der Schweiz drastisch zu vereinfachen: Diagnostik – Resultate – Therapiebeginn – alles an einem Ort. Doch die Elimination von viraler Hepatitis erreiche man nicht, wenn dies nur in den westlichen Ländern gelinge. Die Migration sei das beste Beispiel dafür: «Wir müssen vor allem in den betroffenen Ländern dafür sorgen, dass flächendeckend geimpft wird.» Das bedeutet: Für die Bekämpfung von Hepatitis muss man die Welt im Blick haben.

Wissenschaftsmagazin, 11.02.2023, 12:40 Uhr

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