«Die wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass der Mensch einen erkennbaren Einfluss auf das globale Klima hat.» Dieser eine Satz im zweiten Sachstandsbericht des Weltklimarats der UNO von 1995 hatte es in sich. Erstmals war sich die Klimawissenschaft weltweit einig, dass der Mensch einen Einfluss hat auf den Klimawandel.
Der Mann, der damals die zuständige Arbeitsgruppe im Weltklimarat leitete, der US-amerikanische Klimamodellierer Benjamin Santer, kam in der Folge massiv unter Druck.
Unter anderem von der Erdölindustrie. Diese engagierte selbst Wissenschaftler als Lobbyisten. So wurde Santer vom einst hoch angesehenen emeritierten Physiker Frederick Seitz frontal angegriffen. Seitz hatte die US-Atombombe mitentwickelt und in den 1960er-Jahren die Nationale Akademie der Wissenschaften präsidiert.
Frontalangriff auf den Hauptautor
In einem Meinungsbeitrag im renommierten «Wall Street Journal» vom Juni 1996 schrieb Seitz unter dem Titel «Eine grosse Täuschung über die globale Erwärmung» zum Bericht des Weltklimarats: Der Bericht sei, nachdem er vom Plenum abgesegnet worden war, von gewissen Autoren abgeändert worden und erwecke nun den falschen Eindruck von Einigkeit unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
Und weiter: «Ich bin nicht in der Lage zu wissen, wer die Änderungen vorgenommen hat; aber der Hauptautor des Berichts, Benjamin D. Santer, muss vermutlich die Hauptverantwortung tragen.»
Das war ein harter Schlag für den jungen Klimawissenschaftler – und nicht der einzige. Ein republikanischer Abgeordneter im US-Kongress startete eine Untersuchung gegen ihn. Seine damalige Anstellung beim Lawrence Livermore National Laboratory wurde öffentlich infrage gestellt.
Benjamin Santer verteidigte sich. Im Wall Street Journal antwortete er Frederick Seitz in einem Leserbrief und sezierte dessen Kritik Punkt für Punkt.
Es sei zu keinen Verstössen gegen die Regeln des Weltklimarats gekommen, und diese Regeln entsprächen der Wissenschaftlichkeit, schrieb er und betonte: «Dr. Seitz ist kein Klimawissenschaftler. Er war nicht an der Ausarbeitung des Weltklimarat-Berichts von 1995 über den Stand des Wissens zum Klimawandel beteiligt. Er hat nicht an der Weltklimarats-Sitzung in Madrid teilgenommen, über die er berichtet. Und vor allem hat er vor dem Verfassen seines Meinungsbeitrags keinen der Hauptautoren kontaktiert, um Informationen darüber zu erhalten, wie oder warum nach Madrid Änderungen vorgenommen wurden.»
Die Zweifel waren gesät
Dutzende führende Klimawissenschaftler aus aller Welt unterstützten Benjamin Santer. Die Kritik an ihm und am Weltklimarat IPCC war offensichtlich unbegründet. Doch die Zweifel waren gesät.
Die Behauptung, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel gar nicht so klar seien, wie sie in Tat und Wahrheit waren, diese Behauptung liess sich nicht so schnell wieder aus der Welt schaffen.
Benjamin Santer verbrachte Monate damit, an Befragungen unter anderem im Kongress teilzunehmen, Angriffe abzuwehren, falsche Behauptungen richtigzustellen. Der Druck war so gross, dass auch sein privates Leben litt. Die Ehe mit seiner Frau ging in die Brüche.
Je klarer das Wissen, die Informationen zum Klimawandel wurden, desto stärker ist auch die Desinformation aufgekommen.
Benjamin Santer ist kein Einzelfall. Naomi Oreskes, Wissenschaftshistorikerin an der Harvard University, kennt viele ähnliche Fälle. Sie hat die Geschichte der sogenannten Klimaleugnung erforscht. Und sie selbst wurde Opfer von Verleumdungskampagnen.
Lügen über den Klimawandel gebe es schon seit den späten 1980er-Jahren, sagt sie. «Je klarer das Wissen, die Informationen zum Klimawandel wurden, desto stärker ist auch die Desinformation aufgekommen.»
Schon Ende des 19. Jahrhunderts haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewusst, dass beim Verbrennen von Kohle, Öl und Erdgas CO₂ und andere Gase entstehen, die eine Art Treibhauseffekt auslösen und so das Klima verändern können.
In den 1950er-Jahren, als die Emissionen vor allem in der industrialisierten Welt massiv anstiegen, befassten sich immer mehr Forschende mit dem Treibhauseffekt. Dabei handelte es sich aber immer noch um Vorhersagen zu etwas, das in der Zukunft passieren könnte.
1988 dann bestätigt der Klimamodellierer James Hansen vor dem US-Kongress, dass es sich nicht mehr um eine Vorhersage handle, sondern, dass der Klimawandel stattfinde und zumindest teilweise menschgemacht sei.
Die Erdölindustrie ändert ihre Strategie
Die Erdölindustrie selbst hatte früh Interesse am Phänomen des Klimawandels. Die Konzerne realisierten, dass der Klimawandel ihre Aktivitäten stark beeinflussen könnte. So hofften sie beispielsweise, dass sich ihnen mit dem Abschmelzen des arktischen Eises mehr Möglichkeiten zur Ölförderung eröffnen könnten.
Gleichzeitig fürchteten sie aber natürlich, dass die Politik Massnahmen gegen den Klimawandel ergreifen und so ihr Geschäft behindern könnte.
Die Industrie habe dank ihrer eigenen wissenschaftlichen Abteilungen in den 1990er-Jahren intern sehr exakte Prognosen zum Klimawandel gemacht. Das zeigen Dokumente, die Naomi Oreskes analysiert hat. Sie zitiert das Beispiel des US-Konzerns Exxon: «Exxon wusste nicht nur, dass es den Klimawandel gab, die konzerneigenen Wissenschafterinnen und Wissenschafter berechneten gar als erste, wie viel Kohle, Öl und Gas die Menschheit noch verbrennen konnte, bevor die Erderwärmung ernsthafte Konsequenzen haben würde. So erfanden Klimawissenschaftler von Exxon den Begriff des ‹CO₂-Budgets›, das der Menschheit zur Verfügung steht, ein Begriff, der seither grosse Verbreitung gefunden hat.»
Dann, gegen Ende der 1980er-Jahre, hätten die US-Erdölkonzerne entschieden, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse zu bekämpfen.
Exxon, einer der am besten dokumentierten Fälle, habe die eigene wissenschaftliche Abteilung aufgelöst und stattdessen auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung gesetzt, sagt Naomi Oreskes.
Sie veröffentlichten sogenannte «Advertorials», also Inserate in Zeitungen, die wie Meinungsbeiträge daherkamen und Zweifel säten am wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel und an der Notwendigkeit von Massnahmen dagegen.
Das Muster war bekannt von den Tabakkonzernen, die sich jahrelang gegen strengere Anti-Rauchermassnahmen wehrten.
Die politische Motivation der Klimaleugnerinnen und -leugner
Doch was motivierte Wissenschaftler wie Frederick Seitz, der Benjamin Santer wegen seines Berichts für den Weltklimarat frontal angegriffen hatte, sich im Dienste der Erdölindustrie gegen das Gros ihrer Kollegen zu wenden und die Klimawissenschaft fundamental zu kritisieren?
Naomi Oreskes: «Es ging den Leuten nicht wirklich ums Geld. Geld mag geholfen haben, wichtiger aber war die Ideologie, die aus dem Kalten Krieg kam. Diese Wissenschaftler waren sehr antikommunistisch eingestellt.»
Sie sahen ihre wissenschaftliche Arbeit als ihren Beitrag für die Unabhängigkeit der USA. Staatliche Massnahmen gegen den Klimawandel erschienen ihnen deshalb als Eingriffe, die in letzter Konsequenz zu einem totalitären Staat, ähnlich demjenigen der Sowjetunion führen würden. Also sahen sie ihr Lobbying als eine Art Verteidigung von Demokratie und Freiheit.
Wissenschaftler waren gewohnt, wissenschaftlich zu arbeiten. Als sie aber merkten, dass ihre Aussagen kritisiert und ihre Resultate verfälscht wurden, wussten viele nicht, was tun. Und so schwiegen sie oft.
Viele Klimawissenschaftler waren – wie Benjamin Santer 1996 – überhaupt nicht darauf vorbereitet, sich zu verteidigen, stellt Naomi Oreskes fest: «Wissenschaftler waren gewohnt, wissenschaftlich zu arbeiten. Sie rechneten Klimamodelle durch, analysierten Eiskern-Daten etc. Als sie aber merkten, dass ihre Aussagen kritisiert und ihre Resultate verfälscht wurden, wussten viele nicht, was tun. Und so schwiegen sie oft.»
Entsprechend unternahmen die USA in den 1990er- und 2000er-Jahren kaum etwas zur Eindämmung der CO₂-Emissionen. Daran schuld sei massgeblich die Erdöllobby mit ihrem Druck auf die Politik und ihren Desinformationskampagnen, erklärt Wissenschaftshistorikerin Oreskes. Andere Länder hätten sich hinter dem damals grössten Klimasünder USA versteckt und entsprechend ebenfalls nicht gehandelt.
Die Zweifel bremsen den Kampf gegen den Klimawandel
Doch was, wenn die Erdöllobby nicht so erfolgreich gewesen wäre? Naomi Oreskes ist überzeugt, dass die Staatengemeinschaft das Problem des Klimawandels heute weitgehend gelöst hätte, wenn sie in den 1990er-Jahren die von der Wissenschaft empfohlenen Massnahmen ergriffen hätte.
Tatsache ist: Die Emissionen sind kontinuierlich weiter angestiegen und mit ihnen die Durchschnittstemperaturen rund um den Globus. Und Klimaleugnerinnen und Klimaleugner gibt es nach wie vor.
Allerdings – davon sind Naomi Oreskes wie Benjamin Santer überzeugt – werde für sie die Luft immer dünner. Denn die Wissenschaft ist immer eindeutiger, und die Folgen des Klimawandels sind unterdessen offensichtlich.