Wir haben die Wahl: In der Kantine, im Supermarkt, bei der Ferienplanung – und obwohl wir wissen, dass der Vegiteller verantwortungsvoller wäre als die Bratwurst, die Beeren aus der Schweiz vernünftiger als die Ananas aus Zentralamerika und die Zugfahrt klimaschonender als der Langstreckenflug, entscheiden wir uns dagegen.
Grund dafür sind Automatismen, die tief in uns verankert sind und sich gar nicht so einfach verändern lassen. Wir reden uns vieles schön. Sind wir also einfach ignorant? Oder boykottiert unser Gehirn unser Verhalten?
Vermächtnis unserer Vergangenheit
«Der Mensch verfügt über begrenzte kognitive Ressourcen.» erklärt Verhaltenspsychologin Bernadette Sütterlin. «Bei vielen unserer Entscheidungen im Alltag geht es also darum, auf effiziente, ressourcensparende Weise zu einer zufriedenstellenden Entscheidung zu gelangen»,
Dabei greifen wir auf Denkmuster und Informationsverarbeitungsweisen zurück, die ein Vermächtnis unserer evolutionären Vergangenheit sind. Von einem absichtlichen Boykott unseres Gehirns würde die Expertin nicht sprechen.
Wir leben im Hier und Jetzt. Dies war vor Tausenden von Jahren ziemlich nützlich. Wir wollten es warm, also schufen wir in genau diesem Moment eine Feuerstelle. Wir erkannten ein Bedürfnis – und mussten es schnell befriedigen, sonst wären wir umgekommen.
Heute stellen uns diese Muster in unserem Gehirn vor Herausforderungen. Denn unser Gehirn beurteilt das unmittelbare Konsumerlebnis, beispielsweise den Genuss einer Bratwurst als attraktiver, als der Verzicht auf Fleisch.
Die Eigenheiten des menschlichen Denkens (...) können die Beurteilung von klimafreundlichen Verhaltensweisen und entsprechend die Umsetzungsbereitschaft negativ beeinflussen.
Mit dem Flugzeug in die Ferien zu reisen erscheint reizvoller als die positiven Auswirkungen meines Verzichts auf die Reise mit dem Flugzeug, die sich irgendwann in der Zukunft zeigen werden und deren Auftreten zudem ungewiss ist. Das Hier und Jetzt ist für unser Gehirn attraktiv.
Die Hürde steht mitten im Gehirn
«Die Eigenheiten des menschlichen Denkens, wie das Zurückgreifen auf simple Faustregeln und unser ‹Bauchgefühl› oder kognitive Verzerrungen, können die Beurteilung von klimafreundlichen Verhaltensweisen und entsprechend die Umsetzungsbereitschaft negativ beeinflussen.» Die Hürde im Kampf gegen die Klimaerwärmung steckt also mitten in unserem Gehirn.
Bernadette Sütterlin forscht seit Jahren zu unserem Verhalten und wie wir es beeinflussen können. Der Mensch nimmt die Klimaerwärmung als ein abstraktes Phänomen wahr. Mit unserem Fokus auf den kurzfristigen Nutzen, fällt es uns schwer anzuerkennen, dass wir direkt betroffen sind. Wir empfinden eine psychologische Distanz. Und das ist ein Grund für unsere Untätigkeit.
Hinzu kommt, dass oft auch unsere Bedürfnisse im Weg stehen, um uns klimafreundlicher zu verhalten. Zwar stehen uns ein gutes ÖV-Netz oder umweltfreundliche Transportmittel zur Verfügung. Doch der Wunsch in ferne Länder zu reisen ist viel grösser und wir entscheiden uns für das Flugzeug.
Verzerrungen beeinflussen unser Handeln
Es gibt noch weitere Verzerrungen, die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen weltweit im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung untersucht haben.
Zum Beispiel die sogenannte Optimismus-Verzerrung. Wir gehen davon aus, dass schlechte Ereignisse sicher nicht uns treffen werden. Oder wenn, dann wird es nicht so schlimm sein. Solange die unmittelbare Bedrohung nicht zu sehen ist, glauben wir, uns wird die Klimaerwärmung nicht oder weniger schaden. Beispielsweise führt die Klimaerwärmung zu mehr Extremwetter. Wegen der Optimismus-Verzerrung glauben wir, das wird uns in der Schweiz weniger tangieren.
Oder die Bestätigungs-Verzerrung: Die Neurologin Tali Sharot hat in Studien untersucht, dass wir vor allem solche Informationen aufnehmen, welche unsere Vorstellungen bestätigen. Sind wir eher skeptisch der Klimaerwärmung gegenüber, ignorieren wir alarmierende Informationen. Akzeptieren wir die Klimaerwärmung, sind wir für alarmierende Informationen empfänglich. Unser Gehirn mag schlicht Informationen, die es bestätigen.
Verhaltensmuster erschweren Kampf
Gönnen Sie sich ab und zu einen Flug, weil Sie im Alltag auf ein Auto verzichten?
Dann stecken Sie mittendrin im sogenannten negativen Übertragungseffekt: Dieser «negative Spillover-Effekt», wie er in der Fachsprache genannt wird, kann dazu führen, dass wir ein klimaunfreundliches Verhalten mit einem anderen Verhalten legitimieren. Mit der Ausführung einer moralisch guten Tat, wie dem Verzicht auf das Auto, fühlen wir uns moralisch legitimiert, ein unmoralisches oder eher problematisches Verhalten zu zeigen, wie mit dem Flugzeug in die Ferien zu reisen.
Es sind aber nicht nur Wahrnehmungs-Verzerrungen oder moralische Legitimationen, die unsere Entscheidungen beeinflussen. Sondern schlicht auch unser soziales Umfeld. Unsere soziale Einbettung, bestimmt mit, ob unsere Verhaltensmuster klimafreundlich sind oder eben weniger.
Unser Umfeld kann uns positiv, aber auch negativ beeinflussen. Verzichtet unsere soziale Gruppe oder alle unsere Nachbarn auf ein Auto, neigen wir dazu, es den anderen gleichzutun. Hier spricht man von einem Nachbarschaftseffekt. Wir wollen dazu gehören.
Auf der anderen Seite nimmt beim sogenannten Zuschauer-Effekt, bekannt als Bystander-Effekt, aktives Handeln mit zunehmender Anzahl Personen ab. Je mehr Menschen beteiligt sind, desto weniger aktiv wird das individuelle Handeln.
Dem können verschiedene psychologische Prozesse zugrunde liegen, sagt Sütterlin. Es sei zum einen eine Verantwortungsdiffusion. Die wahrgenommene individuelle oder persönliche Verantwortung reduziere sich, bei zunehmender Anzahl anderer Personen.
Wenn wir also «bezogen auf den Klimawandel unsere individuelle Verantwortung durch die Anzahl Menschen auf der Erde teilen, wird klar, warum wir aufgrund der Verantwortungsdiffusion nicht aktiv werden und unser Verhalten nicht ändern.»
Eine anderer möglicher psychologischer Prozess ist die pluralistische Ignoranz. Wir passen unser Verhalten stark unserem Umfeld an. «Wenn also niemand reagiert, kann es zu einem Bystander-Effekt kommen, weil alle denken, dass offensichtlich niemand die Situation als kritisch wahrnimmt.»
Bei den Konsumenten sollte ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, welchen Verzerrungen ihre Wahrnehmung und ihre Entscheidungen unterliegen können.
Bei allen diesen Automatismen, Denk- und Verhaltensmustern bleibt nur die Frage: Können wir das ändern?
Reflektieren, um vorwärtszukommen
Das Wissen um die Klimakrise ist ein erster Schritt, doch das allein bewirkt noch keine Verhaltensveränderung. Wir müssen uns auch diesen Automatismen bewusst sein. «Bei den Konsumenten sollte ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, welchen Verzerrungen ihre Wahrnehmung und ihre Entscheidungen unterliegen können, und es sollte ein reflektiveres Verhalten gefördert werden, wenn es um klimarelevantes Verhalten geht», findet Sütterlin.
Eine Variante ist, dass wir die Entscheidungsstrukturen um uns herum verändern. Die sogenannte Nudging-Methode: «Unsere Studien zeigen, dass wir mit sogenannten Nudges, also einer einfachen Änderung der Entscheidungsarchitektur, Menschen sanft zu mehr klimafreundlichem Verhalten bewegen können.» so die Umweltpsychologin Sütterlin. «Dabei wird kein Zwang in Form von Verboten oder Geboten ausgeübt, es sind keine ökonomischen Anreize erforderlich und die Entscheidungsfreiheit bleibt jederzeit bestehen.»
Nudging für ein klimafreundliches Verhalten
Bernadette Sütterlin hat in verschiedenen Studien die sogenannte Nudging-Methode (to nudge = englisch für stupsen) untersucht. Dabei werden in unserem Alltag Entscheidungssituation so gestaltet wird, dass das Verhalten in die gewünschte Richtung gelenkt oder gestupst wird. Zentral ist es, dass die Entscheidungsfreiheit gewahrt bleibt. Es werden keine finanziellen Anreize gesetzt und weder Verbote noch Gebote ausgesprochen.
«Ein Nudging-Mechanismus ist zum Beispiel ein unmittelbares Feedback zu den Konsequenzen des Handelns zu geben. Oder Informationen zum Verhalten anderer Personen», so Sütterlin. Wird mir also etwa aufgezeigt, wie viel CO₂ ich einsparen kann, wenn ich den Lift nehme, kann ich den Lift nehmen – oder ich entscheide mich für die Treppe und die CO₂-Einsparung. Nudging nutzt die Tatsache, dass wir uns bei Entscheidungen von unserem direkten Umfeld leiten lassen.
«Eine Patentlösung für alle gibt es aber nicht», betont Bernadette Sütterlin. Nudges greifen weniger bei Entscheidungen, die sehr hohe persönliche Kosten verursachen.
Zudem haben wir Menschen verschiedene Werte, Lebensstile und Fähigkeiten – kurz wir sind zu unterschiedlich: «Wenn Massnahmen auf die unterschiedlichen Konsumentengruppen massgeschneidert sind, sind sie am wirksamsten», so die Expertin.
Materialistisch orientierte Konsumenten können zum Beispiel eher durch finanzielle Anreize zu einer Verhaltensänderung bewegt werden, während Konsumenten, die bereits eine intrinsische Motivation, sich umweltfreundlich zu verhalten, mitbringen, eher für weiche Massnahmen wie Informationsvermittlungskampagnen empfänglich sind.
Für Bernadette Sütterlin ist aber klar, dass Nudging-Strategien ein wirksames, einfach umzusetzendes und kostengünstiges Instrument sind, um einen grossen Teil der Konsumenten zu einem klimafreundlicheren Verhalten zu bewegen.
So oder so: Bei der nächsten Entscheidungsfindung, sei es beim Zmittag oder der Ferienplanung, könnten wir kurz innehalten und uns fragen, welcher Mechanismus gerade hinter dem ersten Impuls der Entscheidung steckt. Und vielleicht gibt es ja doch eine Alternative.