Meeresströmungen können unser Klima massgeblich beeinflussen. Zum Beispiel die gewaltige Atlantische Umwälzströmung. Würde sie versiegen oder sich deutlich abschwächen, wäre es in der Schweiz ein bis zwei Grad kühler. Im Norden Norwegens sogar acht bis zehn Grad. Landwirtschaft würde in Nordeuropa damit nahezu unmöglich.
Wie wahrscheinlich ist es, dass die Klimaerwärmung einen Kollaps dieser Strömung bewirkt? Fast monatlich erscheinen neue Studien zu dieser Frage, die Resultate liegen oft weit auseinander.
Die Atlantische Umwälzströmung verschafft Europa deutlich mildere Temperaturen als anderen Regionen auf gleicher nördlicher Breite. Doch der Motor gerät ins Stottern. Mit der Klimaerwärmung regnet es im Norden mehr, das Grönland- und Meereis schmilzt.
Dadurch wird das Meerwasser verdünnt, es ist weniger salzhaltig und sinkt deshalb nicht mehr wie früher ab. Sinkt weniger oder gar kein Wasser mehr ab, zieht es auch kein warmes Wasser aus dem Süden mehr nach. Stellt der Motor ganz ab, würde die Atlantische Umwälzströmung kollabieren.
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Bild 1 von 2. Vor der Südküste Grönlands sinkt das salzhaltige, schwere Meereswasser ab und treibt so die atlantische Umwälzströmung an. Bildquelle: Imago Images/Chromorange.
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Bild 2 von 2. Die warme Meeresströmung im Atlantik ermöglicht, dass in Schottland an der Küste Palmen wachsen, während auf der gleichen geografischen Breite in Kanada nur Moose und Flechten gedeihen. Bildquelle: Imago Images/Dreamstime.
Komplexe Mechanismen erschweren Modelle
Nicht nur unterschiedliche Salzkonzentrationen treiben Strömungen an. Auch Winde, wie zum Beispiel beim Golfstrom. Das System ist sehr komplex, verlässliche Messungen gibt es erst seit 20 Jahren. Auch mit den besten Klimamodellen kommen deshalb Prognosen zur künftigen Entwicklung der Strömung zu unterschiedlichen Resultaten.
Kollaps in diesem Jahrhundert unwahrscheinlich
Gemäss dem aktuellsten Bericht des Weltklimarats IPCC ist es sehr unwahrscheinlich, dass die atlantische Umwälzströmung bis im Jahr 2100 zusammenbricht. Stefan Rahmstorf, Klima- und Meeresforscher am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, findet das schlecht kommuniziert. Im Klimajargon heisse «sehr unwahrscheinlich», die Wahrscheinlichkeit liege bei weniger als zehn Prozent.
Ich glaube, niemand würde in einen Flieger steigen, wenn man ihm sagt, die Absturzwahrscheinlichkeit kann 10 Prozent betragen.
«Ich glaube, niemand würde in einen Flieger steigen, wenn man ihm sagt, die Absturzwahrscheinlichkeit kann zehn Prozent betragen», sagt er. Er schätzt die Lage anders ein. Dänische Klimaforscher etwa publizierten vor einem Jahr eine Studie, gemäss der die atlantische Umwälzströmung bis Ende des Jahrhunderts mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit kollabierte.
Abschwächung wahrscheinlich
Johanna Baehr, Leiterin Klimamodellierung am Institut für Meereskunde der Universität Hamburg, ist zurückhaltender. Seit 20 Jahren misst sie die Meeresströmungen so gut wie möglich. Die dänische Studie sei wissenschaftlich sehr spannend. Sie kann aus ihrer Sicht aber nicht in konkrete Jahreszahlen übersetzt werden. Die Unsicherheiten seien viel zu gross.
Wir gehen davon aus, dass die Abschwächung bis 2100 im Bereich von etwa 30 Prozent liegen könnte.
Sie und viele andere Forschende raten zur Vorsicht. «Wir gehen davon aus, dass die Abschwächung bis 2100 im Bereich von etwa 30 Prozent liegen könnte.» Die Mehrheit der Forschenden gehe davon aus, dass sich die Umwälzströmung in diesem Jahrhundert zumindest verringere.
Auch wenn die Einschätzungen teilweise auseinandergehen, sind sich alle einig: Das Abflauen der atlantischen Umwälzströmung als weiteres Schreckensszenario braucht es nicht. Schon jetzt sei die Klimakrise genügend sichtbar und bedrohlich. Und es sei klar, dass wir sofort und energischer handeln müssten. Um die drohenden Gefahren abzuwenden oder zumindest zu verringern.