Wir stehen am Eingang des Dischmatals in Davos, fast kniehoch im Schnee. Hier will mir Alec van Herwijnen, Lawinenforscher am Institut für Schnee- und Lawinenforschung zeigen, wie man ein Schneeprofil gräbt. Er legt gleich los, hat in Windeseile ein Loch bis zum Boden geschaufelt und legt eine saubere Schneewand frei.
Schneeprofile sind Haupttool für Lawinenprognosen
Jetzt zeigt sich die Wetter-Geschichte des Winters: Jeder Schneefall bildet eine neue Schicht, vergleichbar mit einer Crèmeschnitte. Und zu wissen, wie diese Crèmeschnitte im Detail genau aussieht, sei für Lawinenprognosen entscheidend, sagt der Forscher. «Für eine Lawine braucht es eine Schwachschicht und darüber ein Schneebrett.» Stabil oder labil ist also die Frage.
Alec van Herwijnen geht nun Schicht für Schicht durch. Er braucht dafür nur ein paar wenige Dinge: Seine Hände, ein Metermass, eine Lupe, ein Raster, um die Grösse der Schneekristalle zu bestimmen, und ein Thermometer.
Das Fazit zum Schluss: nur Schwachschichten. Ungefährlich aber, weil darüber kein Schneebrett liegt.
Die Lawinensituation verändert sich während des Winters laufend, je nach Niederschlag, Temperatur und so weiter. Aktuell ist die Gefahr rund um Davos gering. Alec van Herwijnen interessiert sich aber nicht nur für die aktuelle Situation. Ihn beschäftigt auch die Frage, wie sich die Lawinenaktivität in Zukunft mit dem Klimawandel verändert.
In Zukunft werden Nassschneelawinen auch vermehrt mitten im Winter runterkommen, im Dezember, Januar oder Februar.
Und dazu haben er und sein Team vor Kurzem neue Ergebnisse präsentiert. «Unsere Modelle zeigen klar, dass die Anzahl Tage mit trockenen Lawinen oberhalb der heutigen Baumgrenze in Zukunft abnehmen werden, während nasse Lawinen zunehmen.»
Eine Nassschneelawine ist eine, bei der es flüssiges Wasser in der Schneedecke hat und die Schwachschicht, an der die Lawine bricht, nass war. Zum Beispiel, weil es geregnet hat oder so warm, dass der Schnee zu schmelzen begann.
Kein neues Phänomen grundsätzlich, aber eines, dass sich bisher nur im Frühling zeigte. «In Zukunft werden Nassschneelawinen auch vermehrt mitten im Winter runterkommen, im Dezember, Januar oder Februar», sagt van Herwijnen.
Nasse Lawinen noch kaum erforscht
Die Lawinenart ändert sich also mit dem Klimawandel. Wie problematisch das ist, lässt sich bisher noch nicht abschätzen. Mit Nassschneelawinen habe man heute nämlich erst wenig Erfahrung, und es werde sicher eine Herausforderung sie sauber vorherzusagen: «Die Prozesse in der Schneedecke, die dazu führen, dass Nassschneelawinen runterkommen, verstehen wir noch überhaupt nicht», so der Forscher. Was es vom Wetter her für nasse Lawinen brauche, verstehe man aber immerhin mehr oder weniger.
In nassem Schnee sei es auch schwieriger, die wichtigen Parameter zu messen, Feuchte zum Beispiel. Da gebe es bisher keine gute Lösung dafür. «Es ist ein grosses Forschungsthema, in das wir in Zukunft viel mehr Energie reinstecken müssen und wollen», sagt van Herwijnen. Einige Projekte haben er und sein Team bereits am Laufen – auch wenn nasser Schnee nicht so schön sei, wie trockener.