Die Corona-Pandemie hat den Jüngsten voll aufs Gemüt geschlagen. Besonders den Mädchen und den jungen Frauen zwischen 10 und 24 Jahren. Unerwartet? Nicht wirklich, sagt Kerstin von Plessen, Leiterin der universitären Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsspitals in Lausanne CHUV. Jugendliche seien generell psychisch verletzlicher als Erwachsene und Mädchen reagierten häufig besonders sensibel.
Kontaktverlust trifft junge Menschen im Kern
In der Corona-Pandemie sind vermeintlich sichere soziale Strukturen zusammengebrochen. Geschlossene Schulen, Vorlesungen am Bildschirm, der Stopp sportlicher Gruppenaktivitäten und mit sich selbst beschäftigte und verunsicherte Erwachsene – all dies hat Kindern und Jugendlichen zugesetzt. Denn sie sind mehr von sozialen Kontakten abhängig und von Erwachsenen, die ihnen zuhören.
Zuerst wurden die Buben auffällig, dann die Mädchen
Zu Beginn der Pandemie, so Kerstin von Plessen, seien vor allem die Buben aufgefallen. Noch nie sei sie mit derart aggressiven Kindern konfrontiert gewesen.
Doch dann seien immer mehr Mädchen und weibliche Jugendliche auf die Station gekommen: «Nach und nach wurde dann klar, dass es eigentlich die Mädchen und die jungen Frauen sind, die noch mehr leiden. Sie haben die Zukunftszuversicht verloren». Depressionen, Ängste, Suizidversuche und Selbstverletzungen gehörten zu den häufigsten Gründen für eine Einweisung.
2021 wurden 26 Prozent mehr Mädchen und junge Frauen zwischen 10 und 24 Jahren psychiatrisch hospitalisiert als im Vorjahr. Bei den Buben und jungen Männern waren es sechs Prozent mehr.
Damit zeigte sich während der Coronakrise zugespitzt, was Kerstin von Plessen seit Jahren beobachtet: Die Krankenhausaufenthalte von Mädchen nehmen zu. «Wir sehen eine klare Umkehrung der Geschlechterverhältnisse. Früher waren Jungs und männliche Jugendliche in der Überzahl. Heute übertreffen die stationären Aufenthalte von Mädchen jene der Buben. Letztes Jahr betrafen 75 Prozent der Anfragen Mädchen und junge Frauen.
Mädchen haben den Mut ihre Not zu teilen
Bemerkenswert ist, dass die Hälfte der psychiatrisch hospitalisierten Kinder und Jugendlichen zuvor noch nie hospitalisiert waren. Die Corona-Pandemie hat also nicht nur jene jungen Menschen krank gemacht, die bereits eine psychisch belastete Vorgeschichte hatten.
Kerstin von Plessen kennt die Not hinter den Zahlen. Sie sieht aber auch das Positive. Sie habe beobachtet, dass das Leiden an der Corona-Pandemie zu einer Entstigmatisierung von psychischen Problemen geführt habe. Mädchen hätten reagiert und Hilfe gesucht. Sie seien eher bereit, sich zu öffnen, ihre Sorgen mitzuteilen und Hilfe anzunehmen. Das sei eine gute Entwicklung.
Die Psychiatrie war völlig überlastet
Doch von Plessen sagt auch: «Diese an sich positive Entwicklung hat das System völlig überlastet.» Es brauche für die Zukunft mehr präventive Massnahmen, viel mehr Zusammenarbeit zwischen den Institutionen und Fachleuten. Und es brauche Erwachsene, die wahrnehmen, wenn Kinder mutlos, ängstlich und verzweifelt sind. Die Gründe dafür bleiben akut. Auch wenn sich die Corona-Pandemie verzieht, lasten der Klimawandel und der Krieg in der Ukraine weiter auf der Psyche der Jüngsten.