Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) ist die Zahl der Spitalaufenthalte von Mädchen und jungen Frauen wegen psychischer Probleme zwischen 2020 und 2021 um 26 Prozent gestiegen. Die Hospitalisierung war häufig die Folge eines Suizidversuches. Die Betroffenen fühlten sich überfordert und depressiv, sagt die Psychologin Susanne Walitza.
SRF News: Ist die starke Zunahme der Fälle auch im Klinikalltag spürbar?
Susanne Walitza: Ja, wir haben schon letztes Jahr auf den Anstieg aufmerksam gemacht. Wir haben mehr Notfälle und mehr von den jungen Frauen müssen dann auch stationär behandelt werden.
Was belastet manches Mädchen oder manche junge Frau derart stark, dass es oder sie sich umbringen will?
Sie fühlen sich zu erschöpft, die Schule oder Ausbildung zu bestehen, sie haben das Gefühl, den nächsten Tag nicht mehr bewältigen zu können. Viele sind verzweifelt, traurig, depressiv und sehen keine Zukunftsperspektive.
Man geht nicht mehr zur Schule, trifft keine Freunde mehr.
Was macht diese Angst mit den Betroffenen?
Sie führt dazu, dass man so lethargisch oder erschöpft ist, dass man die normalen Alltagsaktivitäten nicht mehr verrichten kann – man geht nicht mehr zur Schule, trifft keine Freunde mehr, spricht vielleicht nicht einmal mehr mit den Eltern.
Während der Pandemie befragten wir viele Jugendliche. Viele gaben an, sich labiler und gereizter zu fühlen. Diese Symptome können sich so weit steigern, dass jemand das Gefühl hat, es gehe gar nichts mehr.
Welche Rolle spielt die Pandemie?
Wir sehen schon seit rund zehn Jahren einen konstanten, leichten Anstieg der Anzahl Fälle. Das hat auch mit den ganzen Dauerkrisen zu tun. In der Pandemie nun empfanden viele den ersten Lockdown noch als etwas Positives.
Mit der Dauer der Einschränkungen fühlten sich viele Junge immer gestresster und depressiver.
Doch mit der Dauer der Einschränkungen und dem zweiten Lockdown fühlten sich viele junge Menschen immer gestresster und depressiver. Wir sahen immer mehr Fälle von Selbstverletzungen. Das hat bis heute nicht nachgelassen.
Wieso sind offenbar junge Frauen eher betroffen als junge Männer?
Einfache Erklärungen gibt es dafür nicht. Die Symptome bei den Mädchen wie Depressionen kommen aber sowieso häufiger vor bei Frauen als bei Männern. Mädchen zeigen eher internalisierendes Verhalten, suchen die Schuld also eher bei sich als bei anderen. Das hat sich während der Pandemie verstärkt – wohl nicht zuletzt wegen der sozialen Medien, die eine starke Selbstoptimierung erfordern. Ausserdem äussern sich Mädchen eher als Jungen und suchen Hilfe gegen Aussen.
Mädchen suchen stärker nach idealisierten Vorbildern: schlanke, schöne, erfolgreiche Menschen. Diese Idealbilder sind nur schwer zu erfüllen.
Suchen sich Mädchen in den sozialen Medien eher Vorbilder als Buben?
In der Tat suchen die Mädchen stärker nach idealisierten Vorbildern: schlanke, schöne, erfolgreiche Menschen. Diese Idealvorstellungen sind aber nur schwer zu erfüllen. Die Buben flüchten sich eher in Games und können sich dort bewähren. Deshalb sind sie womöglich auch besser durch die Pandemie gekommen.
Wie sollen Eltern reagieren, wenn sie bei ihren Kindern Mutlosigkeit oder gar Lebensmüdigkeit feststellen?
Sie sollen sich unbedingt Hilfe suchen und auf keinen Fall denken, man müsse das selber schaffen. Die Krisen werden weiter bleiben – und wir können uns dagegen nur gemeinsam stark machen.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.