Jungen Menschen setzte die Pandemie besonders stark zu: Suizidgedanken, Depressionen und Angststörungen nahmen zu. Seit einigen Monaten sind die Einschränkungen aufgehoben, Corona ist weniger präsent. Doch die Verzweiflung gewisser Jugendlicher ist nicht kleiner geworden.
«Wir haben erwartet, dass wir im Frühling weniger Anfragen haben. Dies ist jedoch nicht geschehen», sagt Psychiater Gregor Berger. Er leitet den Notfalldienst für Kinder und Jugendliche der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Das Angebot wurde bis zu den Sommerferien «permanent stark in Anspruch genommen», sagt Berger. In den letzten Wochen habe es zwar einen Rückgang gegeben. «Jetzt zieht es aber schon wieder an.»
Die Stiftung Pro Juventute zeichnet ein ähnliches Bild. Im ersten Halbjahr 2022 meldeten sich vermehrt Kinder und Jugendliche wegen Ängsten. Solche Beratungen haben gegenüber dem Vorjahr um 30 Prozent zugenommen. Mediensprecherin Lulzana Musliu spricht von einer «Generation im Krisenmodus».
Gesunde Bewältigungsmechanismen fehlen
«Durch den Ukrainekrieg, die drohende Inflation sowie die Klima- und Energieproblematik haben wir eine Multikrise», sagt Musliu. Kinder und Jugendliche seien in dieser Situation stark gefordert. Eine Situation, in welcher zudem die Pandemie Spuren hinterlassen habe.
Jugendpsychiater Gregor Berger betont ebenfalls die Nachwirkungen der Corona-Krise. «Gewisse Jugendliche gaben ihre Hobbys auf. Sie konnten nicht schnuppern, keine Kolleginnen oder Kollegen treffen.» Wer so den Anschluss verpasst habe, sei noch immer überfordert.
Laut Berger identifizieren sich gewisse Jugendliche zunehmend mit der Krise. «Gesunde Bewältigungsmechanismen wie Sport, Musik oder Vereinszugehörigkeit gehen verloren.» Dies betreffe zwar nur eine kleine Gruppe. «Diese aber fordert uns sehr und braucht viele Ressourcen», sagt der Psychiater.
Auch hoher Leistungsdruck und emotionale Vernachlässigung setzt Jugendlichen zu. Der starke Medienkonsum hinterlasse ebenfalls Spuren, sagt Gregor Berger. «Die Jugendlichen haben keine Möglichkeit mehr, sich so zurückzulehnen und zu entspannen. Im Sekundentakt erhalten sie Benachrichtigungen.»
«Es braucht das Fach Gesundheit»
Wie aber könnte sich die Situation verbessern? Berger sieht Handlungsbedarf im Schulunterricht: «Es braucht so etwas wie das Fach Gesundheit. So lernen die Jugendlichen, was sie auf ihrem Weg zu gesunden Erwachsenen brauchen.» Einige Schulen würden bereits Ähnliches unterrichten, doch das Angebot variiere stark.
In dieser «komplexen Gesellschaft» müssten aber auch die Eltern abgeholt werden. Eine Schulung alle drei Monate wäre ideal. «Dabei könnte man vom Umgang mit Suchtmitteln über Medienkompetenz bis hin zu Mobbing verschiedene Schlüsselthemen besprechen.»
Bundesrat soll Lösungen aufzeigen
Pro Juventute wiederum fordert zusätzliche Gelder für Beratungen sowie für Kinder- und Jugendpsychiatrien. «Es ist wichtig, dass wir Angebote stärken, die sie unterstützen», sagt Sprecherin Lulzana Musliu.
Auf nationaler Ebene ist der Handlungsbedarf erkannt: Ein SP-Vorstoss verlangt, dass der Bundesrat Lösungen für eine bessere psychiatrische Versorgung aufzeigt. Anlauf- und Beratungsstellen sollen ausgebaut werden. Unterzeichnet haben diesen Vorstoss alle Parteien.