«Es ist wirklich wichtig, mit dem Mythos aufzuräumen, dass man – wenn man wütend ist – Dampf ablassen sollte», so der Professor für Kommunikation Brad Bushman. Er war an einer kürzlich veröffentlichen Studie beteiligt, welche wenig überraschend zeigt: Ruhiges Atmen, Meditation oder Yoga helfen dabei, Wut abzubauen. Doch jetzt kommt's: Was zur Regulierung der Wut nicht hilft, das seien aktivierende Tätigkeiten. Also Kampfsport, Schwimmen oder Krafttraining.
Und: Joggen oder Treppensteigen verstärken die Wut sogar signifikant. Falls Sie sich nun sagen: «Also bei mir hilft Joggen als Ventil» – schauen wir uns das genauer an.
Wieso wir die Wut nicht am Boxsack rauslassen sollten
«In einem sogenannten Rage-Room Teller zu zerschlagen oder herumzubrüllen fühlt sich zwar im Moment gut an», gibt die psychologische Beraterin beim Elternnotruf Rita Girzone zu. «Die Wut rauszulassen kann kurzfristig eine Erleichterung und ein gutes Gefühl geben.» Aber, so Girzone, dabei könne es zum Jo-Jo-Effekt kommen. Denn das regelmässige Abreagieren von Wut durch zerstörerische Aktivitäten kann sogar die destruktive Aggression verstärken. «Solche Tätigkeiten helfen also nicht nachhaltig, einen besseren Umgang mit der eigenen Wut zu finden».
Sport sei aber durchaus wertvoll, betont Rita Girzone. Allerdings nicht primär, um Dampf abzulassen, sondern als präventive Massnahme der Selbstfürsorge.
Die psychologische Beraterin führt aus: «Es gibt Menschen, die haben das Gefühl, sie brauchen eine intensive körperliche Tätigkeit wie das Joggen, bevor sie Zugang zur Ruhe und Reflexion finden. Dies kann ein erster Schritt in der Emotionsregulation sein.» Ideal wäre, sich dabei mit sich selbst zu verbinden. Und anschliessend die wutauslösende Situation und die damit verbundenen Emotionen zu reflektieren.
Beruhigende Aktivitäten – und dann?
Statt beim Joggen oder Boxen Dampf abzulassen, solle man lieber herunterfahren: Tiefenatmung, Entspannung, Achtsamkeit, Meditation, Slow-Flow-Yoga, progressive Muskelentspannung, Zwerchfellatmung oder sich eine Auszeit nehmen.
Doch für einen nachhaltigen Umgang mit der Wut braucht es mehr, erklärt David Siegenthaler, psychologischer Berater und Paarberater bei Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich: «Bei Wut gilt es, erstmals zu erkennen, dass ich sie empfinde. Und dann in einem zweiten Schritt, worauf mich das Gefühl hinweisen will.»
Wegdrücken ist also keine gute Option. Das unterschreibt auch die psychologische Beraterin Rita Girzone. Und konkretisiert: Ein wirksamer und nachhaltiger Umgang mit Wut bestehe aus drei Phasen.
- Die körperliche Regulierung, also das Runterkommen
- Die Verarbeitung der Emotionen: Also zu verstehen, was mich wütend gemacht hat und welche Gefühle und Bedürfnisse darunter liegen
- Die Lösungssuche: Also was ich zukünftig anders machen kann
Der Wut auf den Zahn fühlen
Hinter der Wut liegen Bedürfnisse und Gefühle. Zum Beispiel nicht gehört zu werden, müde zu sein oder sich nicht wertgeschätzt zu fühlen. Die beiden Fachpersonen, Rita Girzone und David Siegenthaler, sind sich einig: Alle Gefühle dürfen sein. Aber nicht alle Verhaltensweisen. Und dafür benötigen wir Selbstreflexion und Übung – um zwischen der Wut und unserer Reaktion innehalten zu können.