Der Einfluss der Eltern auf die Entwicklung ihrer Kinder sei begrenzt, sagt der Zürcher Entwicklungspädiater Oskar Jenni. Wer versuche seine Kinder auf Leistung zu trimmen, riskiere die Beziehung zu ihnen. Und die sei eine wichtige Voraussetzung für eine gesunde kindliche Entwicklung.
SRF Wissen: Eltern wollen nur das Beste für ihre Kinder. Was können sie tun, um ihre Kinder auf den besten Weg zu bringen?
Oskar Jenni: Die Frage beruht auf einem Missverständnis. Eltern müssen wissen, dass ihr Einfluss auf die kindliche Entwicklung nur sehr begrenzt ist.
Die Eltern sind für den sicheren Hafen zuständig, der Geborgenheit und Stabilität bieten soll.
Kinder entwickeln sich innerhalb ihres genetischen Potenzials durch ihre eigene Aktivität.
Aber wenn ich einem Kind nie anbiete, dass es sich mal am Klavier ausprobieren kann, dann wird es doch nie lernen Klavier zu spielen.
Das ist richtig. Aber wenn ein Kind nach einer gewissen Zeit kein Interesse mehr am Klavierspielen hat, ist dies ein Hinweis darauf, dass dieses Instrument für das Kind nicht geeignet ist. Eltern sollten das Kind dann nicht dazu drängen.
Aber es gibt doch bestimmte schulische Leistungen, die das Kind erbringen muss. Nach Ende der ersten Primarschulklasse muss es beispielsweise im einstelligen Zahlenraum rechnen können. Was mache ich, wenn mein Kind da nicht fit ist? Dann fördere ich es doch.
Förderung ist die Aufgabe der Schule. Die Eltern sollen zwar durchaus Interesse für schulische Themen zeigen, aber nicht die Aufgaben der Lehrpersonen übernehmen. Die Eltern sind für den sicheren Hafen zuständig, der Geborgenheit und Stabilität bieten soll.
Und wie siehts mit dem Chinesisch-Kurs am Samstagvormittag aus?
Das bringt nichts. Gehen sie lieber mit ihren Kindern in den Wald, machen sie ein Feuer, spielen sie mit ihnen. Ich glaube, es ist in der Kindheit wichtiger, die Beziehungen zu leben und sichere Bindungen aufzubauen als die Kinder intellektuell zu fördern.
Ob wir zufrieden und glücklich werden, hängt also gar nicht so entscheidend davon ab, welche Bildung wir erfahren?
Bildung ist zweifellos wichtig, doch Beziehungen sind bedeutender. Mit welchen Menschen komme ich zusammen? Wer hat mich gerne? Wer unterstützt mich auf meinem Lebensweg?
Macht das ein erfülltes Leben aus?
Ja, davon bin ich fest überzeugt. Wir sehen in unseren Studien (siehe Box), dass für die Lebenszufriedenheit im Alter das soziale Netzwerk bedeutender ist als der Bildungsstand. Ein Teil des Glücks ist angeboren. Ein ebenso wichtiger Teil wird aber durch die Beziehungserfahrungen in der Kindheit und Jugendzeit geformt.
Aber darauf können Eltern ja schon Einfluss haben?
Ja, mit einem warmen Erziehungsklima, in dem sie präsent sind und sich fürsorglich um das Kind kümmern. Entscheidend sind die fünf Vs: Vertrautheit, Verlässlichkeit, Verständnis, Verfügbarkeit und voller Liebe zu sein.
Das Gespräch führten Sabine Olff und Ingolf Baur.