Antoinette Brown Blackwell war hin und weg, als sie Charles Darwins Buch «Über die Entstehung der Arten» las. Mit seiner Evolutionstheorie hatte der Brite die Welt 1859 auf den Kopf gestellt und die schier unendliche Vielfalt in der Tier- und Pflanzenwelt plausibel hergeleitet.
Die Theologin Blackwell aus dem liberalen Bürgertum fand darin Antworten, die die biblische Schöpfungsgeschichte sinnvoll ergänzten.
Doch als Darwin zwölf Jahre später «Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl» veröffentlichte, war die Euphorie weg.
Der Mann ist die Ausnahme von der Regel
Darwin ging davon aus, dass der Menschen-Mann die Evolution auf den Kopf gestellt habe. Während in der Tierwelt fast immer die Männchen um die Gunst der Weibchen buhlten, sei es beim Menschen genau andersrum: Hier machten sich die Frauen schön. Für Darwin war das verwirrend.
Er kam zu dem Schluss: «Der Mann ist an Körper und Geist kraftvoller als die Frau, und im wilden Zustande hält er dieselbe in einem viel unterwürfigeren Stande der Knechtschaft, als es das Männchen irgendeines anderen Tieres tut; es ist daher nicht überraschend, dass er das Vermögen der Wahl erlangt hat.»
Und so, oder so ähnlich, wurde es Jahrhunderte lang praktiziert: Die Männer kasperten untereinander aus, wer denn nun der geeignetste Ehemann für die Tochter, Schwester oder Cousine ist – und die hatte sich zu fügen. Antoinette Brown Blackwell konnte das so nicht stehen lassen.
Kooperation ist besser als Konfrontation
Sie wies auf einen blinden Fleck in dieser Argumentation hin: Darwin habe die kulturelle Konvention, die Frauen in der Gesellschaft auf die Ersatzbank verwies, auf unzulässige Weise «naturalisiert» und dabei ignoriert, dass der Mensch abseits seiner biologischen Vorgaben auch zu eigenen Entscheidungen fähig ist.
In ihrem Buch «The sexes throughout nature» entgegnete sie 1875, dass das «Projekt Menschheit» nur gelingen könne, wenn man die Menschen als Spezies betrachte. Demnach würden Männer und Frauen, Schwarze und Weisse, Starke und Schwache nicht miteinander im Wettbewerb stehen – sie müssten kooperieren.
Männer: mehr als Hirn, Samen und Muckis
Und wie viele Vögel gemeinsame Brutpflege betreiben, habe auch der Menschen-Mann mehr zu bieten als nur Hirn, Samen und Muckis – nämlich seine Bereitschaft, sich an der Kindererziehung zu beteiligen.
Entsprechend müssten Männer auch ein ganz natürliches Interesse an diesem Job haben, damit Frauen – zum Wohle der Menschheit – auf anderen Gebieten glänzen könnten.
Zusammenarbeit wäre die Lösung gewesen
Für Meike Stoverock lesen sich Brown Blackwells Thesen wie moderne feministische Forderungen. Die Biologin und Autorin kritisiert jedoch, dass Brown Blackwell in die gleiche Falle tappte wie zuvor Charles Darwin. «Während Darwins Theorie erklärt, warum die Welt des 19. Jahrhunderts so sein musste, wie sie war, erklärt ihre Theorie, warum die Welt so sein sollte, wie sie sie gerne hätte.»
In einem diversen Team hätten die beiden einander auf ihre blinden Flecken hinweisen können. Und kann man die Frage stellen, wie die wissenschaftliche Debatte verlaufen wäre, hätte Darwin Antoinette Brown Blackwell damals zugehört.
Sie hat Darwin ihr Buch zugeschickt. Aber nach allem, was wir wissen, hat er es wohl nie gelesen.