Jeden Montag nach dem Mittagessen läuft Insasse Antonio zur Gefängniszentrale und holt sein Aufgebot für die Therapiesitzung.
Der 40-Jährige sitzt eine Gefängnisstrafe im offenen Strafvollzug Saxerriet ab. Hier sind Täter unterschiedlichster Delikte untergebracht, nur keine Fluchtgefährdeten oder Gemeingefährlichen. Einige der Männer sitzen hier zehn Tage, andere zehn Jahre ab.
Mit Skepsis in die Therapie
Seit gut einem Jahr sei er hier untergebracht, erzählt Antonio. Weil er arbeitslos war, habe er angefangen zu stehlen und mit gewerbsmässigem Diebstahl seinen Lebensunterhalt finanziert. «Ich wollte keine Hilfe von aussen, ich wollte es selbstständig schaffen», erzählt Antonio heute. Nun verbringt er die meiste Zeit auf engen zwölf Quadratmetern.
Praktisch seit Beginn seiner Strafe macht Antonio eine angebotene tiergestützte Therapie, die mit einem Esel stattfindet. Es ist ein gewollter Ausbruch aus dem Alltag im Strafvollzug. Antonio freut sich darauf.
Begleitet wird die Therapie von Edigna Heer. Die Therapeutin weiss, dass der Start für viele Insassen nicht ganz einfach ist: «Viele der Insassen sind skeptisch. Sie wissen nicht, was sie erwartet und der Esel hat einfach einen schlechten Ruf in unserer Gesellschaft».
Esel: stur, aber nicht dumm
Sie gelten als dumm, stur und unnachgiebig. Zu Unrecht: Esel sind zwar eigenwillige Tiere, doch genau deshalb eignen sie sich so gut als Therapietiere, erklärt Therapeutin Edigna Heer.
In einer Eselherde gibt es keine Alphatiere – sie besitzen eine sehr lockere Herdenhierarchie. So kann nur mit dem Esel arbeiten, wer eine vertrauensvolle Beziehung zum Tier aufbauen kann. Wer es mit Druck versucht, stösst auf Widerwillen, dann macht der Esel keinen Wank mehr. In der Therapie geht es darum, gemeinsam Hindernisse zu überwinden. So üben sich die Insassen in Geduld oder setzen sich mit negativen körperlichen oder geistigen Reaktionen auseinander und lernen, ihre Gefühle zu regulieren.
Wenn der Esel kooperiert, haben viele Insassen ein Erfolgserlebnis, das sie in ihrem Therapieerfolg weiter bestärkt.
Auch Antonio war nach Therapiestart schnell von Eseldame «Eli» überzeugt: Er profitiere von der Therapie und merkte schnell, dass er sich in Geduld üben muss, sagt er. Dass die anderen Insassen ihn auslachen, kümmere ihn wenig.
Eseltherapie ist nichts für «echte» Männer?
Ganz im Gegensatz zu den Eseln könne es unter den Männern im Vollzug sehr wohl «Alphatiere» geben. Wenn so jemand schlecht gegen die tiergestützte Therapie redet, habe das Angebot einen schlechten Stand, sagt Strafvollzugsdirektorin Barbara Looser.
Sie betont allerdings: «Diejenigen, die sich auf die Therapie einlassen und merken, dass sie viel für ihren Alltag profitieren können, sind dann echt begeistert».
Beziehung zwischen Tier und Mensch eröffnet therapeutische Möglichkeiten
Tiere haben etwas, das die meisten Menschen den Gefängnisinsassen gegenüber nicht schaffen: Sie sind unvoreingenommen. Ihnen ist egal, was wir Menschen tun, was wir angestellt haben. Das ist eine besondere Eigenschaft, die gerade im Vollzug viel bewirkt, wo sonst sehr gern das Delikt im Vordergrund steht.
So entsteht eine vertrauensvolle Umgebung, in der plötzlich persönliche Dinge angesprochen werden können: Wie kam es zur Tat? Warum ist sie passiert? Aber auch Themen wie der Umgang mit Frust oder körperlicher Gewalt können auf einer neuen Ebene angesprochen werden.
Esel Eli und Insasse Antonio wirken zum Ende der Stunde wie ein eingespieltes Team. Antonio geniesst die Zeit mit Eli, besuchen wird er den Esel nach Entlassung aber nicht, schmunzelt er. Läuft alles gut im Vollzug, prüft die einweisende Behörde seine bedingte Entlassung im Herbst nächstes Jahr. Bis dahin wird ihn Eli weiter begleiten.