Die junge Anthropologin Lara Indra hat einen Job, der nach Crime-Serienmarathon klingt: Die 26-Jährige ist Teil des «Disaster Victim Identification», kurz, «DVI»-Teams. Diese Truppe aus Kriminaltechnikern, Gerichtsmedizinern und Zahnärztinnen gibt Opfern von Unfällen, Flugzeugabstürzen oder Naturkatastrophen im In- und Ausland ihre Identität zurück.
Was es braucht, um die Opfer zu identifizieren, warum man teilweise Spuren auf der ganzen Welt zusammensuchen muss und wie das Team mit belastenden Erlebnissen umgeht, erklärt Christian Zingg, operativer Leiter des DVI-Teams.
SRF: Herr Zingg, wann wird das Team von DVI aufgeboten?
Christian Zingg: In der Schweiz, wenn die jeweiligen Kantone bei grösseren Unglücken Unterstützung anfragen, wie zum Beispiel beim Reisebus-Unfall 2012 in Siders. Im Ausland in der Regel immer dann, wenn mehrere Schweizerinnen und Schweizer unter den Opfern von Unfällen oder Naturkatastrophen sind.
Wie läuft so ein Einsatz ab?
Sobald ein Kanton in einem Fall Verstärkung braucht, fordert er über die Einsatzzentrale das Team von DVI an. Das läuft über die Kantonspolizei Bern. Über das Alarmsystem der DVI werden dann alle Mitglieder informiert und deren Bereitschaft abgeklärt. Innerhalb von einem halben Tag setzen wir so ein Team zusammen. Im Fall Siders etwa geschah der Unfall in der Nacht: Am Morgen erreichte uns die Meldung und bereits am Nachmittag waren wir mit rund 30 Personen vor Ort.
Was passiert dann?
Die zuständigen Behörden bringen die verstorbenen Personen zu einer Identifikationsstelle. Im Beispiel von Siders war es das Leichenhaus auf dem Friedhof Sion. Dort sammeln wir verschiedene Daten der Verstorbenen wie Fingerabdrücke, DNA, Tattoos und vieles mehr.
Gleichzeitig tragen wir das Vergleichsmaterial bei den Angehörigen zusammen, um damit die Datensätze der Verstorbenen abzugleichen. Diesen Vergleich muss abschliessend eine Identifikations-Kommission überprüfen und absegnen. Erst dann gilt ein Opfer als identifiziert.
Wie lange dauert das in der Regel?
Das ist stark abhängig von verschiedenen Faktoren: die Anzahl der Opfer, ihr Zustand oder die Umstände vor Ort. Es kann sein, dass man irgendwo in einem Zelt in der Wüste arbeitet – dann geht es natürlich länger. Siders war ein Spezialfall: Innerhalb von drei Tagen konnten wir alle Opfer identifizieren, weil alle Angehörigen vor Ort waren. Das ist sonst kaum der Fall.
So konnten wir das Vergleichsmaterial schnell zusammentragen. Bei einem Flugzeugabsturz muss man dieses unter Umständen in verschiedenen Ländern zusammensuchen – das kann Monate dauern.
Wann wird es sonst noch schwierig?
Wenn man bei einem Flugzeugabsturz zum Beispiel ganz viele Opfer auf einmal identifizieren muss und einige davon verwandt sind. Die Vergleichsmittel, wie die DNA zu finden oder zuzuordnen, ist dann schwieriger.
Wie wird man Teil Ihres Teams?
Es gibt drei Kategorien: Polizeiangehörige, zu denen Kriminaltechnikerinnen und Ermittler gehören. Dann das medizinische Personal wie Ärzte und Leichenpräparatorinnen. Und als 3. Kategorie Zahnärztinnen, die speziell auf Identifizierung ausgebildet sind. Ausserdem gibt es noch Menschen, die für die psychologische Betreuung unseres Teams zuständig sind und solche für die Medienarbeit.
Die Mitglieder werden also während eines Einsatzes psychologisch betreut.
Ja, aber grundsätzlich setzen wir hier eigentlich auf die Erfahrung der einzelnen Mitglieder. Klar, es gibt nach jedem Einsatz eine Nachbesprechung und psychologische Dienste können in Anspruch genommen werden. Man muss aber sehen: Rechtsmedizinerinnen und Kriminaltechniker, also die Mitglieder von DVI, sind täglich mit dem Tod konfrontiert. Es gibt aber natürlich Einsätze, die belastender sind als andere. Dort kommen Psychologinnen zum Einsatz.
Was war für Sie persönlich der prägendste Einsatz?
Grosse Ereignisse mit vielen Toten sind immer herausfordernd. Aber klar, sobald Kinder unter den Opfern sind, ist das sicher ein belastender Aspekt. Schwer kann es aber auch sein, wenn man Kriegsopfer im Kosovo identifizieren muss.
Das Gespräch führte Sina Alpiger.