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Studie zu «Picky Eating» Die Gene sind schuld: Warum Kinder wählerische Esser sind

Nur Pasta oder Pommes: Viele Kinder sind pingelig, wenn es darum geht, was auf ihrem Teller landet. Das ist eher angeboren als anerzogen, kommt eine neue Zwillingsstudie zum Schluss.

Wenn ein Kind angewidert das Gesicht verzieht, sobald es Brokkoli auf dem Tisch entdeckt, und die Karotte kurzerhand auf den Boden wirft, kann das für Eltern anstrengend sein. Besonders, wenn sie sich bemühen, das Kind ausgewogen zu ernähren, oder sich gar Vorwürfe wegen des heiklen Essverhaltens machen. Eine aktuelle Zwillingsstudie entlastet jedoch die Eltern: Falls Kinder sich weigern, das liebevoll zubereitete Menü zu vertilgen, liegt das eher an den Genen als an der Erziehung.

Das Forschungsteam um Zeynep Nas vom University College London kam zu diesem Schluss, nachdem es die Essgewohnheiten von 2402 Zwillingspaaren analysiert hatte. Dabei stellte sich heraus, dass eineiige Zwillinge, die die genau gleiche DNA-Ausstattung haben, ähnlichere Essensvorlieben und -abneigungen haben als zweieiige Zwillinge.

Kurz gesagt: Wenn einer der eineiigen Zwillinge Obst verweigerte, tat es der andere meist genauso. Das deutet darauf hin, dass «Picky Eating» überwiegend genetisch bedingt ist. Die Studienautoren hoffen, damit verunsicherten Eltern etwas Druck nehmen zu können.

Mehr zur Zwillingsstudie aus Grossbritannien

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Das Forschungsteam analysierte Daten aus der britischen Gemini-Studie, um herauszufinden, wie sich das Essverhalten vom Kleinkind bis ins Jungendalter entwickelt und welchen Einfluss Genetik und Umwelt haben. Zu diesem Zweck füllten Eltern Fragebögen zum Essverhalten ihrer Kinder aus, als diese 16 Monate, drei, fünf, sieben und 13 Jahre alt waren.

Die Ergebnisse zeigen, dass sich das wählerische Essverhalten der Kinder in diesem Zeitraum kaum veränderte. Das bedeutet: Kinder, die bereits früh kaum neue Lebensmittel probierten und nur wenige Gerichte mochten, behielten dieses Verhalten auch später weitgehend bei. Im Alter von etwa sieben Jahren erreichte das «Picky Eating» seinen Höhepunkt und ging danach leicht zurück.

Interessanterweise unterschieden sich eineiige Zwillinge in ihrem Essverhalten mit zunehmendem Alter immer mehr. Das deutet darauf hin, dass Umweltfaktoren im Alter an Bedeutung gewinnen.

Zudem ist wählerisches Essverhalten bei Kindern in vielen Kulturen verbreitet. Studien zeigen, dass ungefähr die Hälfte aller Kinder eine Phase durchläuft, in der sie besonders heikel sind. «Wenn ein Kind eine Zeit lang weder Spinat noch Äpfel essen möchte, ist das Teil einer normalen Entwicklung», sagt Moritz Daum, Entwicklungspsychologe an der Universität Zürich. Das habe nicht den Zweck, die Eltern zu verärgern.

Was ist «Picky Eating»?

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Es gibt keine anerkannte Definition des «Picky Eatings», der Begriff umfasst ein breites Spektrum, erklärt die Ernährungsberaterin Isabelle Rieckh, die an der Berner Fachhochschule lehrt. Wählerische Esser können Kinder, Jugendliche oder Erwachsene sein, die nur etwa zehn bis 15 verschiedene Lebensmittel zu sich nehmen oder bestimmten Nahrungsmitteln skeptisch gegenüberstehen. Häufig verweigern sie auch, neue Gerichte oder Lebensmittel zu probieren, was am Geschmack, der Konsistenz oder der Textur liegen kann.

Ernährungsberaterin Rieckh betont: «Ein leicht wählerisches Essverhalten bei Kindern ist normal und unbedenklich.» Solche Kinder haben in der Regel ein gesundes Gewicht und sind ausreichend mit Nährstoffen versorgt. Allerdings kann die Abneigung von Lebensmitteln oder Angst vor dem Essen auch extreme Formen annehmen und sich zu einer Essstörung entwickeln.

Studien zeigen zudem, dass wählerisches Essverhalten häufig bei neurodivergenten Kindern und Erwachsenen vorkommt, etwa bei Menschen im Autismus-Spektrum oder mit AD(H)S.

Während etwa die Hälfte aller Kinder bei der Nahrungswahl «picky» ist, verändert sich dieses Verhalten mit dem Älterwerden. Bei Erwachsenen sind wählerische Essgewohnheiten weniger verbreitet.

Aber warum sind so viele Kinder selektiv bei Nahrungsmitteln? «Aus entwicklungspsychologischer Sicht lässt sich sagen: Kinder sind kleine Spiesser», so Daum. Kinder wollen wissen, was auf sie zukommt. Und sie schätzen Routinen, wie etwa jeden Abend zur gleichen Zeit ins Bett zu gehen. «Wenn Speisen plötzlich anders gewürzt werden oder ein neues Gemüse auf dem Teller landet, löst dies oft Ablehnung aus, weil es ungewohnt ist.»

Suche nach Erklärungen

Es gibt auch evolutionsbiologische Überlegungen dazu – die lediglich auf Hypothesen beruhen und daher mit Vorsicht betrachtet werden sollten, betont Daum. Eine Theorie ist, dass Kinder besonders nährstoffreiche Gerichte bevorzugen. «Fast jedes Kind durchläuft eine Pasta-Phase», berichtet die Ernährungsberaterin Isabelle Rieckh, die an der Berner Fachhochschule lehrt und auf Kinderernährung spezialisiert ist. Spaghetti, Kartoffelstock oder Schokoladenkuchen liefern viel Energie, die gerade während des Wachstums stark benötigt wird.

Eine andere Erklärung lautet, dass die Pingeligkeit eine gewisse Schutzfunktion haben könnte. «Früher bedeutete eine unbekannte Pflanze auch Gefahr: Eine rote Beere könnte giftig und somit für ein Kind gefährlich, schlimmstenfalls tödlich sein», so Rieckh.

Dieser Ansatz erscheint Daum allerdings weniger überzeugend: «In den ersten Lebensjahren nehmen Kinder vieles, was sie auf dem Boden finden, in den Mund – auch potenziell giftige Dinge.»

Jedenfalls betonen der Entwicklungspsychologe und die Ernährungsberaterin: Ein «picky» Essensverhalten erfordert von Bezugspersonen viel Geduld. Eine bewährte Strategie ist es, das verschmähte Lebensmittel immer wieder anzubieten, ohne das Kind dazu zu drängen, davon zu essen. Nach einigen Jahren greift es dann vielleicht ganz von selbst zum Gemüse. Machen Sie ja auch, nicht?

Tipps für Eltern, die heikle Esser am Tisch haben

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  • Geduld bewahren: Auch wenn Kinder über Jahre hinweg wählerische Esser sind, legt sich dieses Verhalten normalerweise im Erwachsenenalter.
  • Wiederholtes anbieten: «Passen Sie die Menüs nicht zu sehr an die Vorlieben des Kindes an», rät Ernährungsberaterin Isabelle Rieckh. Denn eine wiederholte Konfrontation – auch visuell – sei notwendig, damit die Chance bestehe, dass das Kind das Lebensmittel irgendwann mal probiert.
  • Freiwilligkeit betonen: Wichtig ist, das Kind nicht zum Probieren zu drängen. Auch Sätze wie «Du darfst erst aufstehen, wenn du aufgegessen hast» sind kontraproduktiv. Ebenso sollte auf Belohnungen wie «Wenn du das isst, bekommst du ein Dessert» verzichtet werden.
  • Vorbild sein: «Wenn Eltern selbst Freude am Essen haben und diese auch bei ausgewogenen Mahlzeiten zeigen, wird das Kind dies bemerken und sich animiert fühlen, es ihnen nachzumachen», sagt Moritz Daum, Entwicklungspsychologe an der Universität Zürich.
  • Entspannte Atmosphäre schaffen: Gemeinsame Mahlzeiten sollen positiv und lustvoll erlebt werden. Das trägt dazu bei, eine gesunde Beziehung zum Essen zu entwickeln, die das Kind noch lange begleiten wird.
  • Fachliche Unterstützung einholen: «In der heutigen Informationsflut ist es oft schwierig zu beurteilen, was eine ausgewogene Kinderernährung ausmacht und welches Essverhalten noch ‚normal‘ ist», betont Rieckh. Daher rät sie besorgten Erziehungsberechtigten, sich an Fachpersonen zu wenden und einen Teil der Verantwortung abzugeben.

Radio SRF 3, 07.10.2024, 11:15 Uhr

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