SRF: Regula Eichenberger, erinnern Sie sich an Ihren ersten Alleinflug?
Regula Eichenberger: Daran erinnert man sich immer. Der Puls auf 180 und ein Freudenschrei. Ein, zwei Mal um den Platz fliegen und dann die Landung, mehr ist das nicht. Danach wird gefeiert. Das gibt es nur einmal, es ist einzigartig.
Sie begannen danach als Fluglehrerin für Propellermaschinen zu unterrichten. 1983 wurden Sie dann die erste Linienpilotin der Schweiz. Wie kam es dazu?
Der Chef der Fluggesellschaft Crossair, Moritz Suter, kam eines Tages auf den Flugplatz meines Vaters, hat mich mit der Zweimotoren-Maschine fliegen gesehen und gesagt: «Du kommst zur Crossair. Punkt.»
Moritz Suter ist ein super Geschäftsmann. Er hat realisiert, dass es noch keine Frauen im Cockpit gab und wusste: Das bringt die Crossair mal wieder in die Zeitung. Aber ich denke, er ist generell ein aufgeschlossener Typ.
Wieso gab es damals keine Frauen im Cockpit?
Das müsste man einen der ehemaligen Chefs fragen. Wir wurden einfach nicht zugelassen. Fliegen war eine Männerdomäne. Ich weiss von einer Kollegin, die sich bei der Swissair beworben hatte – vergeblich.
Bei keiner Fluglinie in Europa gab es Möglichkeiten für Frauen, nicht bei Iberia, nicht bei der Lufthansa, nicht bei Al Italia, nirgends. Mir ging das aber nicht so nahe, ich war nicht auf eine Karriere als Linienpilotin fokussiert.
Ich wollte keinen Jupe anziehen. Ich wollte natürlich Hosen, wie die Männer.
Dennoch sassen Sie dann als erste Frau der Schweiz am Steuerknüppel eines Linienfliegers …
Ja, das gab viel Reklame für die Crossair: Grosse Eröffnung mit dem damaligen Bundesrat Leon Schlumpf mit der ersten Linienpilotin. Moritz Suter wollte unbedingt, dass ich einen engen Jupe anziehe, aber ich wollte natürlich Hosen, wie die Männer. Es wäre auch unmöglich gewesen, in einem so kleinen Flugzeug mit einem engen Rock zu fliegen.
Wie ging die Geschichte aus?
Ich habe gesagt, ich komme nicht zum Dienst, wenn ich keine Hosen habe. Innerlich hatte ich den Job schon hingeworfen. Doch am Abend vor dem Flug wurden mir per Express ein paar Hosen zugesteckt.
In der Schweiz erhalten die Frauen also fast als Letzte in Europa das Stimmrecht, dann sitzt aber die erste Pilotin im Cockpit eines Schweizer Linienflugzeugs. Hat das etwas bewegt?
Moritz Suter hat den Pilotinnen Tür und Tor geöffnet, nicht nur in der Schweiz. Mein Start bei der Crossair war so eine Sensation, dass auch die anderen europäischen Fluglinien ziemlich schnell Frauen eingestellt haben: Lufthansa, Iberia, British Airways. In Amerika gab es das schon. Aber Europa war stockkonservativ.
Nach zweieinhalb Jahren wurden Sie bereits Kapitän. Und 1986 flogen Sie mit Doris Wilson nach Salzburg – es war der erste Linienflug mit einem Frauencockpit.
Viele dachten anfangs: Jetzt sind ein paar Pilotinnen eingestellt worden, jetzt haben sie doch ihr Frauencockpit. Dann wunderten sie sich, warum noch mehr Frauen eingestellt wurden (lacht).
Nach 33 Jahren heisst es noch immer «Ach was, eine Frau im Cockpit!». Das ärgert mich.
Wie waren die Reaktionen auf Sie als Pilotin?
Es gab Kollegen, die mich verwöhnten und mir die Koffer tragen wollten. Und es gab andere, die uns nicht sehr geliebt haben. Von einem Kollegen bekam ich zu hören «Euch Frauen brauchen wir nicht, ihr nehmt uns unsere Stellen weg».
Von Frauen hingegen kam sehr viel Positives, auch von den Passagierinnen. Was mich aber bis heute traurig macht: Ich war 33 Jahre dabei und bis heute heisst es noch immer «Ach was, eine Frau im Cockpit!». Das ärgert mich.
Auch heute sind es weniger als 5 Prozent Pilotinnen bei der Swiss, weltweit sieht es nicht anders aus. Haben Sie eine Ahnung, warum der Anteil so klein ist?
Zu Beginn dachte ich, es sei eine Erziehungsfrage. Früher, als die Passagiere noch das Cockpit besuchen durften, gab es diesen typischen Fall: Die Mutter kam mit der Tochter nach vorn und die Reaktion war «Uh, so viele Knöpfe!». Hingegen sagte der Vater zum Sohnemann: «Gäll, du wirst auch mal Pilot.»
Heute denke ich, es ist etwas Anderes. Es gibt ja in fast allen technischen Berufen noch immer wenige Frauen. Als Pilot ist Fantasie nicht gefragt. Da geht es um Checklisten und strikte Abfolgen.
Was braucht es, um eine gute Pilotin oder ein guter Pilot zu werden?
Verantwortungsgefühl, Genauigkeit, Pflichtbewusstsein, Disziplin. Teamwork ist wichtig. Und sich selbst nicht ganz so wichtig nehmen.
Was ist mit technischem Verständnis?
Das kann man lernen. Aber die Fähigkeit zur Teamwork und Disziplin, das muss man mitbringen.
Sie sind über 30 Jahre lang geflogen. Was ist Ihnen ganz besonders in Erinnerung geblieben?
Schwer zu sagen. Ich bin durch die ganze Welt geflogen, es war eine fantastische Zeit. Ich erinnere mich noch an den Flug mit Daniele Rentsch – zwei Frauenkommandantinnen, alle Flightattendants waren weiblich und der Co-Pilot war der einzige Mann in der Besatzung. Wir haben ihn auf Händen getragen (lacht).
Sie waren viel unterwegs. Ist es ein Leben, das sich mit Familie verträgt? Oder ist das ein Grund, warum bis heute nicht so viele Frauen als Pilotin arbeiten?
Es gibt einige Pilotinnen bei der Swiss, die Familie haben. Im Prinzip geht das gut, es ist ein Job, in dem man Jobsharing machen oder reduziert arbeiten kann. Zudem gibt es keine Pendenzen. Wenn das Flugzeug abgeschlossen und das Debriefing gemacht ist, hat man den Kopf frei. Ich denke nicht einmal, dass die Familienplanung der Grund für die wenigen Frauen ist. Viele fangen ja relativ jung an. Mit 22 denkt man nicht an Kinder.
Im Oktober 2015 sind Sie zum letzten Mal als Linienpilotin geflogen. Ein schwerer Abschied?
Der Flug war sehr bewegend. Ich hatte mir die Crew selbst ausgelesen. Im Cockpit als Copilotin selbstverständlich eine Frau und hinten alles Flight-Attendants der ehemaligen Balair, für die ich lange geflogen war. Sogar mein Vater, bei dem ich das Fliegen gelernt habe, flog mit. Es war ein toller Abschied. Ich dachte, ich würde meinen Job stark vermissen, aber es ist gut so. Ich kann ja noch mit den kleinen Maschinen in die Luft.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 5.8.2017, 12.40 Uhr