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Zu Erde werden Terramation: Gibts in der Schweiz bald eine neue Bestattungsform?

Vier Frauen setzen sich für eine neue, ökologischere Bestattung in der Schweiz ein. Die Stadt Zürich ist die erste Interessentin – doch bis zur Umsetzung ist noch einiges zu tun.

Haben Sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht, wie Sie nach Ihrem Tod bestattet werden wollen? Bislang haben Sie in der Schweiz zwei Optionen: eine Erdbestattung oder eine Kremation. Beide sind gesetzlich erlaubt.

Vielleicht kommt für Sie am ehesten eine Feuerbestattung infrage – so wie für 90 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer. Oder Sie machen es, wie knapp zehn Prozent hierzulande, und wählen die Beisetzung in der Erde.

Belastete Böden und Schadstoffe

Nur: Wussten Sie, dass mit der Erdbestattung auch Herzschrittmacher, künstliche Gelenke, Kleidungsstücke wie Turnschuhe und Medikamentenrückstände in die Erde gelangen – und dass das die Böden belasten kann? Oder haben Sie davon gehört, dass eine Kremation jede Menge Gas und Strom verbraucht und hohe CO₂-Emissionen und problematische, teils toxische Luftschadstoffe verursacht?

Nein? Kein Wunder. Denn nach wie vor ist der Tod ein gesellschaftliches Tabuthema – sich freiwillig mit sterblichen Überresten zu beschäftigen, fällt uns in der Regel schwer. Obwohl wir alle irgendwann sterben.

Leere Friedhofsreihen, volles CO₂-Konto

Dem Schweizer Bestattungswesen wurde in den vergangenen Jahren immer häufiger eine Krise attestiert: Die Leerflächen auf Schweizer Friedhöfen werden – wie auch in anderen Ländern – grösser. So sind mittlerweile nur noch 20 Prozent des grössten Friedhofs in Zürich mit Gräbern besetzt.

Wir wollen in der Schweiz eine neue Bestattungsmethode einführen, weil es aktuell keine gibt, die ökologisch ist.
Autor: Lina Hänni Umweltwissenschaftlerin

Die Erdbestattung inklusive klassischem Reihenmietgrab oder Familiengrab hat, zumindest in der Deutschschweiz, fast ausgedient. In Bern, Basel, St. Gallen und Luzern bestätigen die Friedhofsverwaltungen die Tendenz von steigenden Leerflächen. Ist es vielleicht Zeit für etwas Neues?

Wie viel Energie benötigt die Kremation?

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Ansicht einer Kirche mit bunten Blumen im Vordergrund.
Legende: Vor 140 Jahren wurde in der Schweiz die Kremation eingeführt. Seitdem gab es keine Änderungen mehr im Bestattungswesen. IMAGO / HärtelPRESS
  • Die Temperatur bei einer Kremation ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Im Grossen und Ganzen werden im Kremationsofen Temperaturen zwischen 900 und 1300 Grad erreicht. 
  • Die eigentliche Kremation dauert im Durchschnitt ca. 1.5 Stunden. Die Asche muss danach noch auskühlen und in die Urne abgefüllt werden, was noch einmal ca. eine Stunde in Anspruch nimmt. Pro Einäscherung sind ungefähr 200 kWh Erdgas sowie ca. 50 kWh Strom erforderlich. Also so viel, um einen elektrisch betriebenen Pkw über 1000 Kilometer zu fahren.
  • Im Jahr 2023 wurden in der Schweiz rund 90 Prozent aller Verstorbenen kremiert. Im Jahr 2000 waren es etwa 70 Prozent und im Jahr 1950 knapp 20 Prozent.

Geht es nach dem Verein «Werde Erde», lautet die Antwort Ja. «Wir wollen in der Schweiz eine neue Bestattungsmethode einführen, weil es aktuell keine gibt, die ökologisch ist. Ausserdem sind wir davon überzeugt, dass es nach 140 Jahren an der Zeit ist für eine Veränderung im Bestattungswesen», so Umweltwissenschaftlerin und Mitinitiantin Lina Hänni.

Wie aus dem Körper fruchtbare Erde wird

Zusammen mit der Rechtsanwältin Nuria Frei, Trauerbegleiterin Angela Denkinger und Physiotherapeutin Claudia Lercher-Karlen hat die 27-Jährige im Jahr 2022 «Werde Erde» gegründet. Mittlerweile hat der Verein über 230 Unterstützerinnen und Unterstützer. Das Ziel: Die Kompostbestattung als zusätzliche Bestattungsart in die Schweiz zu bringen.

Beim Prozess, den die vier «Terramation» getauft haben, ist der Name Programm: Der verstorbene Körper wird in einem Behältnis innerhalb von 40 Tagen in Humus verwandelt. Am Ende entsteht aus dem Körper fruchtbare Erde. Terra eben.

Frau arrangiert Blumen in einem Holzkasten.
Legende: Bei der Terramation soll sich der Körper der verstorbenen Person innert 30 bis 40 Tagen abbauen. Wie? Mithilfe von Mikroorganismen, Kohlen- und Stickstoff. SRF

Aber wie funktioniert das genau? «Eigentlich erinnert der Prozess an eine Kompostierung», so Lina Hänni. «Der oder die Verstorbene wird auf ein Bett aus Hackschnitzeln und Stroh gelegt und mit Pflanzenmaterial bedeckt.» Die Hackschnitzel dienen als Kohlenstoffquelle, das grüne Pflanzenmaterial liefert Stickstoff. Beides sei nötig, um den Körper, der sich etwa 30 bis 40 Tage in einem speziellen Terramations-Gefäss befindet, abzubauen.

Mikroorganismen katalysieren die Zersetzung

Den wichtigsten Job übernehmen dabei Mikroorganismen, die sowohl auf der Haut als auch auf den Pflanzen vorhanden sind. Konkret katalysieren sie, während der 30 Tage, die Zersetzung und transformieren den Körper in organische Substanz – also Erde.

Würmer und Insekten sind daran übrigens nicht beteiligt, da die Transformation im Gegensatz zur normalen Kompostierung in einem geschlossenen und kontrollierten System stattfindet.

«Die Knochen können übrigens nicht abgebaut werden und bleiben in der Erde zurück», so die Umweltwissenschaftlerin.

Wie bei einer Kremation werden sie im Anschluss fein gemahlen und wieder in die Erde gemischt. Feststoffe wie Hüftgelenk oder Kniescheiben werden ausgesiebt – und die chemischen Stoffe, die aufgrund einer Medikation oder Zahnbehandlung in der Erde zurückbleiben könnten, sollen durch die Hitze, die der Kompostierungsprozess generiert, innerhalb von 72 Stunden neutralisiert werden, so Lina Hänni. Klingt erst mal gut.

USA und Deutschland als Vorreiter

Ganz neu und unumstritten ist die Idee allerdings nicht: Bereits 2014 entwickelte das Unternehmen «Recompose» in den USA eine Methode der Kompostbestattung, die allein mit Sauerstoff und Mikroorganismen menschliche Körper zu Erde werden lässt.

Vorreiter USA

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Die erste «natural organic reduction» wurde von der Designerin Katrina Spade und ihrem Unternehmen «Recompose» in den USA entwickelt.

2020 ging mit dem Greenhouse in Washington die erste öffentliche Anlage für «Human Composting» in Betrieb. Aus «Recompose» ist ein Rundum-Care-Modell geworden, das für insgesamt 7000 US-Dollar «personalisierte Begleitung für die Liebsten auf dem gesamten Weg der letzten Fürsorge – von der Todesstunde bis zur Transformation des Körpers in nährstoffreiche Erde» bietet.

Weitere Bundesstaaten zogen nach. Mittlerweile sind diverse Anbieter für das «Human Composting» auf dem US-Markt tätig.

In Deutschland ist die Kompostierung Verstorbener bisher nur in Schleswig-Holstein erlaubt. Die erste sogenannte «Reerdigung» fand im Februar 2022 in Mölln statt. Allerdings steht das Unternehmen, das diese «ökologische Bestattungsalternative» bekannt machte, in der Kritik.

Kritik an der Wissenschaftlichkeit

Die Behauptung der Klimafreundlichkeit stützt sich auf eine Pilotstudie, die aber nur Überreste aus zwei Reerdigungen untersuchte. Das im Januar 2024 veröffentlichte Ergebnis lautet: «Es funktioniert.» Doch ist das genug?

Der Bundesverband Deutscher Bestatter sagt: Nein. Die Vorgänge seien unklar und die Leipziger Pilotstudie untersuchte zu wenige Proben. Zudem fehle es an Unabhängigkeit, da die Studie von «Meine Erde» beauftragt und finanziert wurde.

Vier Frauen für den Wandel

Die Frauen von «Werde Erde» wollen das anders angehen: Eine Pilotstudie, die von einem unabhängigen Forscher aus der Westschweiz durchgeführt wird, soll Fakten und Transparenz bringen: Wie viel CO₂ wird bei der Terramation tatsächlich eingespart? Wie muss die Kapsel beschaffen sein? Welche Bedingungen müssen im Gefäss herrschen, damit der Körper adäquat abgebaut werden kann?

Noch fussen die Antworten auf Annahmen und Fakten aus dem Ausland – und sind nicht konkret genug, um ihr Ziel der Gesetzes-Erweiterung zu erreichen.

«In der Studie erheben wir die Daten anhand von toten Schweinen», erklärt Forensiker Vincent Varlet. «So können wir Zersetzungsprozesse simulieren und sicherstellen, dass das Verfahren wiederholbar ist und unter ethischen und rechtlichen Bedingungen auf den menschlichen Körper übertragen werden kann.» Der Forscher gilt als Koryphäe auf dem Gebiet Taphonomie, also der Zersetzung von organischem Material, und forscht an der Universität in Lausanne.

Auch er sieht Nachteile in den aktuellen Bestattungsmethoden: «Das grösste Problem bei der Erdbestattung ist, dass Leichen auf vielen Friedhöfen ab einer Tiefe von 1.70 Meter sehr schlecht verwesen.» In dieser Tiefe fehlen nämlich die Mikroorganismen, die die Zersetzung eigentlich ankurbeln sollten. «So entstehen sogenannte Fettwachsleichen.» Das passiert nicht immer – aber immer häufiger.

Schadstoffe aus Krematorien

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Zu den bei Kremationen entstehenden Schadstoffen zählen etwa:

  • Staub
  • Kohlenmonoxid
  • Stickstoff- und Schwefeloxide
  • Anorganische Chlor- und Fluorverbindungen
  • Quecksilber (aus Zahnfüllungen)
  • Weitere Schwermetalle

Eine effektive Rauchgasreinigung ist bei Krematorien von entscheidender Bedeutung. Aufgrund der vergleichsweise niedrigen Kamine, die durch die geringe Leistung der Feuerung bedingt sind, erfolgt eine nur begrenzte Verdünnung der Emissionen in der Luft.

Um die Belastung der Umwelt zu minimieren, ist es daher unerlässlich, organische Schadstoffe wie polychlorierte Dibenzodioxine und -furane (sogenannte Dioxine und Furane) sowie Schwermetalle wie Quecksilber, Cadmium und Thallium zuverlässig herauszufiltern.

In den letzten 20 Jahren wurden kontinuierlich Massnahmen ergriffen, um Kremationsöfen technologisch zu modernisieren. Schweizer Krematorien sind heute mit Abgasnachbehandlungssystemen ausgestattet.

Diese kontinuierlichen Verbesserungen führten seit Ende der 1990er-Jahre zu einer Verringerung der Emissionen der relevanten Luftschadstoffe. Seit Ende 2020 gelten alle 29 Krematorien in der Schweiz offiziell als vollständig modernisiert.

Zu den toxischen Stoffen, die bei der Kremation entstehen, kämen laut dem Experten auch Unsicherheiten, die durch geopolitische Probleme oder Stromausfälle entstehen könnten. «Es gibt eine ganze Reihe von logistischen Herausforderungen, die in Krisensituationen auf uns zukommen würden.» Aktuell führt die Schweiz nach Japan weltweit die Rangliste der Kremierungen an.

Diagramm zu Bestattungsformen in der Schweiz
Legende: Bundesamt für Umwelt, Wald und Landwirtschaft (Bafu)

Unterstützt wird «Werde Erde» von der Stadt Zürich, die für das Pilotprojekt eine Anschubfinanzierung gewährt hat.

Zürich will als erste Schweizer Stadt Terramation als Alternativbestattung einführen: «Einerseits würden wir damit den Zeitgeist treffen, denn die Stromeinsparung sorgt für einen kleineren ökologischen Fussabdruck», so Rolf Steinmann, Fachexperte Bestattungs- und Friedhofsamt Zürich.

«Andererseits würden wir den Angehörigen mehr Auswahlmöglichkeiten bieten, was den Wunsch nach Individualisierung stillt.» Die fruchtbare Erde könne im Anschluss entweder auf dem Friedhof oder im eigenen Garten gelagert werden.

Dass das Interesse an Alternativen besteht, spüre ich bei Friedhofsführungen und in Gesprächen mit Angehörigen und anderen Friedhofsämtern deutlich.
Autor: Rolf Steinmann Fachexperte Bestattungs- und Friedhofsamt Zürich

Aber wie stehen die Chancen für eine Umsetzung? Und ist die Bevölkerung bereit für solch einen Wandel? «Ich bin sehr optimistisch», so Steinmann.

Wichtig sei, dass solides, gutes Datenmaterial geliefert werden könne. «Dass das Interesse an Alternativen besteht, spüre ich bei Friedhofsführungen und in Gesprächen mit Angehörigen und anderen Friedhofsämtern ganz deutlich.» Erst vergangene Woche ging eine Einzelinitiative im Zürcher Kantonsrat ein, die vorschlägt, dass sich verstorbene künftig kompostieren lassen können.

Das Pilotprojekt soll im kommenden Jahr starten. Es dauert also noch ein bis zwei Jahre, bis wir die Frage nach unserer idealen Bestattungsform um eine dritte Möglichkeit erweitern können.

10 vor 10, 31.10.2024, 21:50 Uhr

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