«Teilen statt besitzen» – unter diesem Motto rollen immer mehr geteilte E-Scooter oder Fahrräder durch unsere Städte. Immer mehr Menschen nutzen sie, um kleinere Wege zurückzulegen. Doch halt – das stimmt nicht ganz. Es sind vor allem Männer, die diese Fahrzeuge nutzen. Und das ist ein Problem.
«Nur rund 15 bis 20 Prozent unserer Nutzenden sind Frauen», so Katharina Schlittler, die Managerin für die Schweiz des schwedischen E-Scooter-Anbieters VOI. Das sei auf den ersten Blick überraschend. Ist es aber bei näherer Sicht nicht.
Unsere Mobilität ist traditionell für Männer ausgelegt. Männer planen die Strassensysteme und männliche Ingenieure konstruieren unsere Fahrzeuge. Die Quote an Frauen in diesen Berufsfeldern ist bis heute tief. «Das hat zur Folge, dass die Bedürfnisse von Frauen oft schlicht vergessen gehen», sagt die Mobilitätsexpertin Ines Kawgan-Kagan, die zu diesem Thema seit Jahren forscht (siehe Interview unten).
Frauen verunfallen häufiger
Das hat teils gravierende Folgen: Frauen verunfallen häufiger im öffentlichen Verkehr, Frauen haben ein höheres Unfallrisiko im Auto, weil die Autos mit männlichen Crashtest-Puppen konstruiert werden. Durch die neuen Sharing-Angebote wird die Tragweite der Problematik nun sichtbarer, denn sie liefern handfeste Daten.
Am eindrücklichsten ist der sogenannte Gender Gap bei den E-Scootern: Sie werden mit Userprofilen benutzt und jedes Fahrzeug hat einen GPS-Tracker. Der Anbieter weiss also genau, wer ein Fahrzeug wann für welche Fahrt nutzt.
Weil vor allem Männer die E-Scooter nutzen, gibt es auch vor allem Daten von männlichen Nutzern – dementsprechend werden diese immer weiter bedient: Fahrzeuge werden in ihrem Sinne optimiert oder sie werden dort bereitgestellt, wo besonders Männer sie brauchen.
«Vor ein paar Jahren hat sich noch niemand gefragt, ob es einen Gender Gap gibt. Mit den Daten konnte aber die Dringlichkeit zu handeln deutlich gemacht werden», so Katharina Schlittler.
Sicherheit geht vor
So stünden die E-Scooter beispielsweise eher vor einem Fussballstadion, statt beispielsweise vor dem Supermarkt. Oder vor der Disco. Dort würden Frauen sie brauchen, denn sie haben teils sehr andere Bedürfnisse.
Eine Studie der Uni St. Gallen hat beispielsweise gezeigt, dass Frauen Angebote wie das E-Trotti gerne zu Tagesrandzeiten nutzen, weil sie sich dabei sicherer fühlen, als alleine durch die Stadt zu laufen. Der E-Lastenfahrrad-Anbieter Carvelo2Go hat darauf bereits reagiert und achtet darauf, dass seine Fahrräder nicht in Tiefgaragen oder Hinterhöfen stehen, sondern offen zugänglich sind.
Ein Design für alle funktioniert nicht
Aber auch beim Fahren selbst spielt Sicherheit eine Rolle, so Schlittler. «Die heutigen E-Scooter wurden nicht für Frauen konzipiert: Die Bremsen sind für etwas kleinere Frauenhände fast nicht zu erreichen. Die Fahrzeuge reagieren zu schnell beim Start.»
Den meisten Unternehmen sei das gar nicht bewusst. Dabei wäre die Lösung so einfach: «Man muss bereits in der Entwicklung Frauen dabei haben, damit die Fahrzeuge inklusiver gestaltet werden können».
Zum Abschluss erzählt Katharina Schlittler noch eine Anekdote: Wie sie ihren fast ausschliesslich männlichen Kollegen einen grossen Vorteil der E-Scooter im Vergleich zum Fahrrad aufzeigte: E-Trotti-Fahren mit Absatzschuhen geht richtig gut! Aus Frauensicht ein eindeutiger Vorteil. Aus Männersicht: ein Schmunzeln. Mehr (noch) nicht.