Zu Hause ist es bekanntlich am schönsten. Besonders schön scheint es im vergangenen Jahr in den vier Wänden der Schweizerinnen und Schweizer geworden zu sein. Zumindest lässt das eine aktuelle Untersuchung des Marktforschungsinstituts GfK vermuten.
Die im Februar publizierte Studie zeigt: Im Jahr 2021 lag der Umsatz für Wohnungseinrichtungen in der Schweiz bei 5.59 Milliarden Franken. 2017 waren es noch knapp 5 Milliarden. Im vergangenen Jahr haben wir so viel Geld in Möbel und Deko investiert wie seit 10 Jahren nicht mehr.
Seit der Pandemie ist der Markt für schönes Wohnen dem 7.4 Milliarden Franken schweren Fashion-Markt dicht auf den Fersen. Diese Entwicklung ist auch den Modeunternehmen nicht entgangen: Die «Home»-Kollektionen von H&M, Zara, Arket oder Urban Outfitters fluten mit funky Kerzenständern, Rattansesseln und chicen Holzhockern die Wohnzimmer.
Brands wie «Boohoo», «Pretty Little Thing» und «Missguided» haben noch während der Pandemie günstige Einrichtungs-Kollektionen lanciert – und sich so in die Herzen und Instagram-Feeds junger, kauffreudiger Kundinnen und Kunden katapultiert.
Schnell, trendig, billig
Moderiesen wenden ihre erfolgreiche Fast-Fashion-Formel auf Interior-Angebote an: ständig neue Kollektionen, schnell und trendbezogen designt und zu niedrigen Preisen produziert und verkauft. Die Gleichung, die sich daraus ergibt, versteht sich von selbst: Wenn viel gekauft wird, muss viel nachproduziert werden.
Wie viel genau, will allerdings keines der Unternehmen mitteilen – auch auf mehrmalige Nachfrage hin. Dass sie sich bei den Lancierungen der Wohnartikel aber an der Schnelligkeit ihrer Mode-Kollektionen orientieren, wird beim Blick auf die ständig neuen Produkte in den Shops klar.
H&M Schweiz bestätigt: «H&M Home identifiziert die aktuellen Stile und adaptiert Trends, die unsere Kundinnen und Kunden inspirieren. Deshalb lanciert H&M Home laufend neue Produkte.»
Die Herstellung belastet die Umwelt
Die Folgen für die Umwelt? «Sie sind gravierend. Auch weil bei den meisten dieser Produkte der Grossteil der Umweltauswirkungen bei der Herstellung entsteht», sagt die Konsum- und Kreislaufwirtschaftsexpertin Barbara Wegmann von Greenpeace Schweiz. Wenn wir unsere Vasen, Spiegelchen und Couchkissen immer schneller ersetzen, steigt also die Belastung für Umwelt und Klima mehr und mehr.
Das Problem beginnt bei den Ressourcen: Das Holz vieler Billigmöbel stammt unter anderem aus Ur- und Naturwäldern in Rumänien und Russland. Seit Jahren wird hier im grossen Stil abgeholzt, oft illegal.
Eine Untersuchung verschiedener Umweltorganisationen zeigt, dass die Fläche rumänischer Laub-Urwälder in den vergangenen 15 Jahren um zwei Drittel geschrumpft ist. Die rumänische Umweltbehörde gibt an, jeder zweite Baum sei illegal geschlagen. Das belastet neben den Wäldern auch die dazugehörigen Ökosysteme.
Chemiebomben in Flüssen
Weiterer Bestandteil der Fast-Interior-Möbel sind synthetische Fasern, die aus fossilen Brennstoffen hergestellt werden. Gewinnung, Herstellung und Transport verbrauchen immense Mengen an Energie und Wasser. Das lässt selbst den CO2-Fussabdruck eines kleinen Holzhockers in die Höhe schiessen.
Die meisten Fast-Interior-Produkte landen direkt in der Kehrichtverbrennung.
Und dann wären da noch die Chemikalien: Farbstoffe, Flammschutzmittel, Gerbstoffe für Leder, Klebstoffe und Lacke. Insgesamt 6500 verschiedene Chemikalien sind bei der Textilveredelung für Kissen oder Couch-Plaids im Einsatz, darunter Schwermetalle wie Chrom VI, Quecksilber und Cadmium. Ein hochgiftiger Cocktail für die Umwelt – und für uns.
Bunte Kissen verschmutzen die Flüsse
Bis zu 60 Liter Wasser werden für das Färben eines Kilo Garns benötigt: Wasser, das oft durch die Chemikalien der Stoffe verschmutzt wird. Nach Angaben der Weltbank entstehen 17 bis 20 Prozent des industriellen Abwassers alleine bei der Textilveredelung.
Neben diesen Herstellungs- gibt es ein weiteres Problem: Was passiert, wenn wir uns an den unzähligen Trend-Artikeln zu Hause sattgesehen haben? Wohin mit dem Müll?
Recycling hilft selten
Ist Recycling die Lösung? Leider nein. Denn wie gut sich Produkte recyceln lassen, hängt vom Material ab. Spanplatten etwa, aus denen günstige Möbel oft gefertigt werden, sind aufgrund ihrer chemischen Harze und Kunststofflaminate nicht recyclebar und können auch nicht biologisch abgebaut werden. «Die meisten Fast-Interior-Produkte landen also wahrscheinlich direkt in der Kehrichtverbrennung», so Barbara Wegmann. Die Ressourcen, die darin stecken, sind damit verloren.
Auch wir bekommen immer mehr billige Möbel angeliefert.
Auch Plastik-Deko ist schwierig zu recyceln, weil darin oft gemischte Plastiksorten verwendet werden. «Der Umweltnutzen ist im Vergleich zum Aufwand ausserdem relativ klein», so die Konsumexpertin.
Das Recycling-Potenzial von Zierkissen oder Couch-Plaids ist genauso schlecht. Zwar gebe es in der Schweiz viele Sammelstellen für Textilien, allerdings habe auch hier die Menge stark zu- und die Qualität abgenommen.
Ein grosser Teil der Alttextilien wird nach Osteuropa, Afrika, Russland oder in den Nahen Osten transportiert. «Dort landet vieles in Gewässern oder wird auf offenen Feuern verbrannt», so Barbara Wegmann.
Kann's das Brocki richten?
Um umweltverträglich zu konsumieren, gibt es also nur eine Lösung: Produkte länger nutzen. Wie gross die Wirkung einer längeren Nutzungsdauer ist, zeigt eine Studie, die im März publiziert wurde: Würden alle Kleider in der Schweiz drei Jahre länger getragen, könnte damit 1,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden.
Das entspricht laut der Studie der gleichen Menge, die ein Auto ausstösst, das die Welt 186’000 Mal umrundet. Würden alle Konsumprodukte in der Schweiz ein bis drei Jahre länger genutzt, liesse sich der Schweizer CO2-Fussabdruck um 1,8 bis 4 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduzieren.
Bleibt also nur noch der Gang ins gute, alte Brocki – oder? «Auch wir bekommen immer mehr billige Möbel angeliefert», so Jakob Amstutz, Leiter von Brocki.ch. «Ich muss schon heute bei Ikea-Sachen den untersten Preis anschreiben und reine Massenware anbieten. Das sehen die Kundinnen und Kunden in einem Brocki natürlich nicht gerne.» Wenn die Unternehmen in diesem Ausmass weiterproduzieren, stelle das die Brockenhäuser vor grosse Herausforderungen.
Das Geschäftsmodell Fast Fashion flutet unsere Kleiderschränke und Wohnungen. Offensichtlich reicht das Hinterfragen eines einzelnen Möbel- oder Shirtkaufs nicht mehr. Helfen würde nur ein Umdenken des gesamten Konsumverhaltens.