Zum Inhalt springen
Audio
Wie Aquakultur nachhaltiger wird
Aus Wissenschaftsmagazin vom 06.04.2024. Bild: IMAGO / SuperStock
abspielen. Laufzeit 8 Minuten 35 Sekunden.

Fischkonsum Zuchtfisch ist begehrt: Wie nachhaltig sind Aquakulturen?

Mehr als die Hälfte der weltweit konsumierten Fische und Meeresfrüchte stammt aus Aquakulturen. Angesichts stagnierender Fänge der Wildfischerei und der wachsenden Weltbevölkerung gewinnt die Aquakultur als Lebensmittellieferant an Bedeutung. Aber nachhaltig ist nicht alles.

Bremerhaven an der deutschen Nordseeküste: In der Laboranlage des Thünen-Instituts schwimmen verschiedene Fischarten in gut einem Dutzend Wasserbassins.

«Johann Heinrich von Thünen-Institut» für Fischerei, Bremerhaven

Box aufklappen Box zuklappen

Drei der fünfzehn Thünen-Institute beschäftigen sich mit Fisch. Das Institut für Fischereiökologie untersucht die Konzentration von Schadstoffen und Radionukleiden in Fischen, die Biodiversität und Ökologie mariner Fischarten sowie Umwelteinflüsse, Tierwohl und ökonomische Rentabilität der Aquakultur.

Ein leicht muffiger Geruch liegt in der Luft. «Wegen der Feuchtigkeit», erklärt Ulfert Focken. Der Wissenschaftler beschäftigt sich seit Jahren mit Aquakulturen, also der Erzeugung von Organismen, die im Wasser leben.

Zuchtlachs als Nischenmarkt

Im Gegensatz zur Fangfischerei zieht die Fischindustrie in der Aquakultur Karpfen, Doraden, Tilapia, Krebstiere, Muscheln und Algen unter kontrollierten Bedingungen auf. Ist die Produktion jeder Fischart sinnvoll und nachhaltig, um alle Menschen zu sättigen?

Zwei Männer stehen an einem Wasserbecken
Legende: Ulfert Focken und Reinhold Hanel in der Laboranlage des Thünen-Instituts für Fischereiökologie. Jörn Breiholz und Michael Marek

Was ist mit Raubfischen wie Lachs, Thunfisch, Dorade und Wolfsbarsch, die ein hohes Grundbedürfnis an Nahrungsqualität haben. «Das sind alles Fische, die nicht für die Welternährung gezüchtet werden», sagt Reinhold Hanel, der Leiter des Thünen-Instituts für Fischereiökologie, «sondern um einen lukrativen Nischenmarkt zu bedienen».

Nicht-nachhaltige Transportwege

In ihrem natürlichen Habitat ernähren sich Raubfische von anderen Fischen und Krebsen. In der Aquakultur kriegen die Zuchtfische in der Regel keine zehn Prozent Fischanteil mehr. Woraus bestehen die restlichen 90 Prozent des Futters? «Einerseits aus Tiermehlen, der überwiegende Teil sind auf Soja basierende Pflanzenproteine», so Ulfert Focken. «Würde man Lachsen wie auch anderen Fischen rohes Sojamehl geben, führt das zu chronischer Darmentzündung.»

Darum muss das pflanzliche Futter industriell aufbereitet werden. Das Sojafutter kommt aus Südamerika in die Fischzuchtanlagen Norwegens, Islands oder des Mittelmeers. Zur Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung sind Raubfische deswegen eher ungeeignet.

Jetzt hat sich die Industrie so weit etabliert, dass Dinge besser sind als früher.
Autor: Reinhold Hanel Leiter Thünen-Institut für Fischereiökologie

Zudem sei die Lachszucht ein klassisches Beispiel für die Fehler der Vergangenheit, ergänzt Hanel: kippende Fjorde, Antibiotika-Einsatz, Viruserkrankungen. «Jetzt hat sich die Industrie so weit etabliert, dass Dinge besser sind als früher.» Was nicht bedeute, dass heute alles gut sei.

Verbraucher interessieren sich für das Tierwohl

Wie geht es Fischen, wenn sie zu Zehntausenden dicht gedrängt in einem kleinen Netz leben und dann geschlachtet werden? «Das Thema Tierwohl wird immer bedeutender und ist auch ein Hauptgegenstand unserer Forschung», sagt der Institutsleiter. «Mittlerweile geht die Diskussion eher dahin, dass auch Fischen ein Schmerzempfinden zugestanden wird.»

Ohne Aquakultur hätten wir keine Chance, den Menschen zu ernähren.
Autor: Reinhold Hanel Leiter Thünen-Institut für Fischereiökologie

Die Konsumentenwahrnehmung habe dabei nicht immer etwas mit Rationalität, sondern viel mit Psychologie zu tun. «Es werden Dinge wie die Haltungsdichte, die man von anderen Nutztieren etwa aus der Hühnerhaltung kennt, auf Fische projiziert.» Das in dem Glauben, dass je weniger dicht Fische gehalten werden, umso besser es ihnen gehe. «Was nicht immer der Fall, denn das hängt sehr stark von der Art ab», so die Wissenschaftler.

Speisefisch aus Aquakulturen

Die Aquakultur hat vor allem in Asien einen Stellenwert, der dem der Agrikultur, also der Landwirtschaft, entspricht. «Ohne Aquakultur hätten wir keine Chance, den Menschen zu ernähren», sagt Reinhold Hanel. Die Zahlen sprechen für sich: Jeder zweite Fisch, der weltweit verspiesen wird, kommt inzwischen aus Aquakulturen.

Aquakultur

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Jörn Breiholz und Michael Marek

Der weltweite Fischkonsum hat sich seit Mitte der 1980er-Jahre mehr als verdoppelt. Das liegt ausschliesslich an der Aquakultur: Vor 40 Jahren hatte Aquakultur mit gut sieben Millionen Tonnen einen Anteil von noch nicht einmal zehn Prozent am weltweiten Fischkonsum. 2020 waren es mit 88 Millionen Tonnen bereits 49 Prozent.

Damit steuerten Aquakulturen in etwa genauso viel zum weltweiten Fischkonsum bei wie die Fischfangindustrie. Zählt man die Algenzucht hinzu, produziert Aquakultur sogar mehr aquatische Nahrung als die Fangfischerei, deren Gesamtproduktion seit Mitte der 1980er-Jahre nahezu stagniert.

China produzierte 2020 mit fast 37 Millionen Tonnen den mit Abstand meisten Fisch aus Aquakultur. Zum Vergleich: In Europa waren es 2020 gerade mal drei Millionen Tonnen Fisch aus Aquakultur.

Quelle: FAO – The state of world fisheries and aquaculture

Wissenschaftsmagazin, 06.03.2024, 12:40 Uhr

Meistgelesene Artikel