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Was Eisbohrkerne über Vulkane verraten
Aus Wissenschaftsmagazin vom 24.06.2024. Bild: Keystone / Roland Schlager
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Eisbohrkern-Analysen Wie Vulkane die Schweiz beeinflussen

Winzige Teilchen in der Arktis und Antarktis zeigen, wie Vulkane das Klima auch in der Schweiz immer wieder massiv beeinflusst haben. Und: Der nächstliegende Vulkan, der irgendwann wieder ausbrechen könnte, liegt weder in Island noch in Italien. Er liegt uns deutlich näher.

Es geschah im fernen Alaska: Im Juni 1912 brach der Vulkan Katmai aus. Jene Eruption, eine der grössten des 20. Jahrhunderts, hatte Folgen bis in die Schweiz. Den ganzen Sommer und Herbst hindurch, vom Juli bis Ende Oktober 1912, herrschte hierzulande ausnehmend schlechtes Wetter. Es war niederschlagsreich, kalt und sonnenarm. Die Schweizer Bauern verzeichneten Einbussen und Missernten in jenem Jahr.

Vulkan vermieste den Sommer 1912

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Der Einfluss des Katmai-Vulkanausbruchs aufs damalige Wetter in der Schweiz lässt sich in der Meteo-Schweiz-App des Bundesamts für Meteorologie und Klimatologie nachvollziehen. Wenn man auf der neuen Startseite unter Messwerte z. B. auf Bern klickt und dann von Stundenwerten auf Monatswerte umstellt, dann nach links in der Zeit zurück scrollt bis zum Jahr 1912 und die Symbole für Temperatur, Regen und Sonnenstunden öffnet.

Auch der Polarforscher und Abenteurer Alfred Dequervain, der mit seiner Schweizer Expedition im Juni, Juli, August 1912 Grönland überquerte, bekam das schlechte Wetter zu spüren. In seinem Bericht notierte er, die ganze Expedition hindurch habe es viel geregnet und zum Teil gar geschneit.

Welchen Einfluss das Wetter im Rückblick auf die Ernte in der Schweiz hatte, berichtete damals die Zeitung «Der Bund»: Demnach fiel z. B. die Heuernte und Getreideernte deutlich schlechter aus als sonst, auch die Weinbauern und die Bienenzüchter litten unter dem nasskalten Sommer und Herbst.

Doch an Unterernährung gestorben seien die Menschen 1912 nicht.  Anders als ein Jahrhundert zuvor, sagt Paläovulkanologe Michael Sigl, als der viel grössere indonesische Vulkan Tambora 1815/16 Mitteleuropa in die letzte schwere Hungerkrise gestürzt hatte.

Ihre zerstörerische Fernwirkung entfalten grosse Vulkane meist durch Schwefelpartikel, die sie nebst Asche ausspucken. Die bewirken dann jeweils zwei, drei Jahre lang eine weltweite Abkühlung von rund einem halben Grad und mehr.

Warum kühlen Vulkane das Klima ab?

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Die Vulkane schleudern Schwefel kilometerweit nach oben, bis in die höhere Atmosphäre. Dort verbinden sich die Schwefelteilchen mit Wasser und formen schwach konzentrierte Schwefelsäure-Tröpfchen.

Die Tröpfchen sind so klein, dass sie nicht gleich wieder herunterfallen, sondern länger in der Atmosphäre bleiben. Wie ein Sonnenschirm werfen sie einen Teil der Solarstrahlung zurück. Insgesamt kommt daher weniger wärmende Energie an der Erdoberfläche an.

Michael Sigl kann den Abkühlungs-Effekt sehen. In Eisbohrkernen, d. h. langen Stäben aus Eis, die Forschende in der Arktis und Antarktis tief aus dem gefrorenen Untergrund herausgebohrt haben. 

Im Eis konserviert: Klima und Vulkane früherer Zeiten

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Die Eisbohrkerne werden aus teils kilometertief abgelagerten Eisschichten in der Nähe der Erd-Pole gewonnen. In diesem Eis ist quasi die Luft der Vergangenheit konserviert, in Form von Gasbläschen im Eis. Mit Isotopenanalysen lassen sich in unterschiedlichen Eisschichten zudem Temperaturschwankungen berechnen.

An schwefligen Schichten im Eis erkennen Klimaforscherinnen und Forscher wie Michael Sigl von der Universität Bern grössere Vulkanausbrüche – je tiefer im Eis, desto älter sind sie. So kann Michael Siegl nun erstmals von heute bis zurück zum Ende der letzten Eiszeit vor 11'000 Jahren alle grossen Vulkanausbrüche weltweit rekonstruieren, samt ihrem Abkühlungseffekt.

Während der vulkanbedingte Abkühlungs-Effekt in der Luft jeweils ein bis drei Jahre anhält, kann er laut Sigl in den Ozeanen zuweilen «viele Jahrzehnte andauern». Denn das abgekühlte Oberflächenwasser sinkt ab und bleibt in der Tiefe.

Vulkan-Häufung während Europas «Kleiner Eiszeit»

Auch unsere Gletscher sind – stärker als bekannt – von Vulkaneruptionen beeinflusst: «Praktisch jeder grosse Gletschervorstoss in den vergangenen 500 Jahren in der Schweiz ist das Ergebnis von ein bis vier starken Vulkanausbrüchen», so der Forscher der Uni Bern. Zum Beispiel 1850, während der «Kleinen Eiszeit», erreichten die alpinen Gletscher ihre grösste Ausdehnung, nachdem in den Jahrzehnten davor eben gleich vier grosse Vulkaneruptionen das Klima abgekühlt hatten.

Wie sehr können Vulkane die Klimaerwärmung korrigieren?

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Die menschverursachte Klimaerwärmung ist heute zu stark, als dass Vulkaneruptionen die Erwärmung nachhaltig abmildern könnten. Zwar kann die Abkühlung unmittelbar nach einem grossen Vulkanausbruch ähnlich stark sein (1.5 °C innerhalb eines Jahres) wie die Erwärmung durch CO₂ (1.5 °C über 150 Jahre hinweg), sagt der Klima- und Vulkanforscher Michael Sigl von der Universität Bern. Doch weil die kühlenden Schwefelaerosole nur ein bis drei Jahre in der Atmosphäre bleiben und damit eben massiv kürzer als CO₂, hält der Kühlungseffekt nicht an.

Den Einfluss speziell auf Gletscher hat der Klima- und Vulkanforscher Michael Zemp von der Universität Zürich am Beispiel des Pinatubo-Ausbruchs 1991 auf den Philippinen untersucht. Jener grösste Vulkanausbruch des 20. Jahrhunderts konnte die Gletscherschmelze weltweit während eines Jahres stoppen, «doch den Eisverlust durch anthropogene Antriebe bei Weitem nicht kompensieren».

Ein Ausbruch, grösser als jener von Pompeji

Doch nicht nur weit entfernte Vulkane hinterlassen Spuren in der Schweiz. In der Eifel, eine Autostunde südlich von Köln, brach vor 13'000 Jahren der Vulkan unter dem Laacher-See aus. Felix Riede von der dänischen Universität Aarhus: «Das war ein Ausbruch ähnlich dem, der einst Pompeji begraben hat – doch viel grösser!»

Die aschereiche Eruption des Laacher-See-Vulkans habe man bei schönem Wetter in ganz Europa sehen können, so der Archäologe. Die Asche habe auch weite Teile Europas bedeckt, zum Teil meterhoch. «In der Schweiz waren die Ablagerungen eher millimeter- bis zentimeterhoch. Aber man muss damit rechnen, dass auch hier die ganze Landschaft von der Asche bedeckt war.»

Vulkanasche ist hart und giftig. Die damaligen Jäger und Sammlerinnen lebten gezwungenermassen ungesund – viele mussten die Heimat verlassen. Könnte so etwas wieder passieren?

Laacher-See-Vulkan noch aktiv

«Der Vulkan ist noch aktiv», sagt Riedl. «An mehreren Stellen im See steigen laufend Gasbläschen auf. Irgendwann mal wird er wieder ausbrechen. Ob das jetzt unmittelbar bevorsteht, wage ich zu bezweifeln. Es lässt sich aber auch extrem schwer vorhersehen.»

Wissenschaftsmagazin, 15.06.2024, 12:40 Uhr

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