Insektenbestimmung mittels App - Was krabbelt oder fliegt da?
Rund 30'000 Insektenarten leben in der Schweiz. Mithilfe von Insektenapps können auch Laien erkennen, was in der hiesigen Natur so kreucht und fleucht. Ein Praxistest.
Ein gutes Auge braucht es, ein Smartphone – und je nach Witterung etwas Geduld. Am Rand des Allschwiler Walds bei Basel fliegt ein Insekt auf Brombeerblüten zu. Biologe René Amstutz hat einen Insektenführer geöffnet, schiebt seinen Arm mit dem Smartphone ins Grün und richtet die Handykamera auf das Insekt. «Es sieht nach einer Hummel aus.» Soviel steht also fest. Aber welche Hummelart genau?
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Der «Naturführer» der Naturschutzorganisation Pro Natura: eine nützliche App, um Insekten zu bestimmen
04:35 min, aus Kultur kompakt vom 31.07.2024.
Bild: Bähram Algheband
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René Amstutz ist Projektverantwortlicher für Artenförderung bei Pro Natura. Die unlängst frisch eingeführte Naturführerapp der ältesten Naturschutzorganisation der Schweiz, liefert ihm mehrere Vorschläge. Darunter: Die gefleckte Kuckuckshummel. Bombus vestalis auf Lateinisch. «Wenn ich das Tier beobachte, sieht es aus wie das auf dem Bild der App: weiss ganz hinten, mit einem gelben Ring um den Hinterleib. Sonst ist’s ziemlich schwarz, recht gross.»
Ist es die gefleckte Kuckuckshummel oder doch eine andere Art?
Amstutz rätselt weiter: «Die Hummel hier auf der Brombeere hat ja mehrere gelbe Ringe, hinter dem Kopf und auf dem Hinterleib. Es könnte also auch diese hier sein: Die dunkle Erdhummel.»
Der Pro Natura-Insektenführer zeigt uns mindestens vier Arten, die infrage kommen dürften. «Man muss schon aufmerksam sein, bevor man sich festlegt und sagt: Das ist diese Art.»
Liegen Insektenerkennungsapps immer richtig?
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Insektennerd Bähram Alagheband: Aus meiner Erfahrung lautet die Antwort: Nein. Obwohl manche Apps eine gute Trefferquote haben, kann ich mich als Insektennerd nicht darauf verlassen.
Fairerweise muss man aber auch sagen: Je besser ein Foto und je näher am Tier fotografiert, desto eher kann die App einen Treffer landen. Wenn ich aufgrund der eigenen Erfahrung, mithilfe von Büchern und Apps nicht ganz sicher bin, aber sicher gehen will, frage ich eine Expertin oder einen Experten der jeweiligen Insektengruppe an.
Angenommen, eine Insektenart ist nicht in der App aufgeführt – teilt sie mir dann eine falsche Art mit?
Bei der App von Pro Natura ist mein Eindruck, dass die App auf die Arten zurückgreift, die sie hat und kennt. Und ja: Ich habe auch schon Arten vorgeschlagen bekommen, die meiner Meinung nach nicht korrekt waren.
Ich kann das nachvollziehen, da dort explizit nicht alle Arten der Schweiz drin sind. Bei anderen Apps ist mir das nicht passiert. Dennoch halte die Pro Natura App für eine gute Einsteiger-App.
Die App liefert einiges an Information zu einer Art, zum Beispiel über Erkennungsmerkmale wie Farbe und Grösse. Aber auch über ihr Verbreitungsgebiet, die Jahreszeit, wann sie aktiv ist, ihre Lebensweise. Das regt zum genauen Hinschauen an.
Am besten lassen sich Insekten beobachten, wenn kein Wind weht, die Sonne scheint und die Pflanzen blühen, sagt René Amstutz. Mai und Juni seien zwei gute Monate, später im Jahr werde es schwieriger. Genauer hinsehen. Das ist ein Grund, weshalb die Pro Natura ihren Naturführer geschaffen hat.
Für wen eignen sich Insektenerkennungsapps?
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Insektenexperte Bähram Alagheband: Die meisten Insekten-Bestimmungs-Apps liefern schnell ein erstes Ergebnis und geben einen Hinweis darauf, um welche Art es sich handeln könnte. Oder sie deuten zumindest an, ob es zum Beispiel eher eine Wanze oder ein Käfer sein könnte. Eventuell sagen sie sogar, zu welcher Familie oder Gattung das Tier gehört.
Apps stillen also auf schnelle Weise eine erste Neugier und vermittelt teils gar Wissen. Das ist ein wichtiger Zweck. Für den privaten Gebrauch, auf einer Wanderung oder im Garten, sind sie aus meiner Sicht ein gutes Mittel, um mal in die Welt der Insekten einzutauchen.
Wer – zum Beispiel aus beruflichen Gründen – 100 Prozent sicher sein will, verlässt sich aus meiner Sicht weniger auf Apps. Viele Insekten können erst dann genau bestimmt werden, wenn sie eingefangen oder gar unter dem Mikroskop untersucht werden.
Die Gratisversion – etwa für Familien und Schulklassen – beinhaltet die 500 häufigsten der 30’000 Insektenarten der Schweiz, die Bezahlversion 1’800. Wegen der intensiven Nutzung der Landschaft seien viele davon gefährdet.
Eine App, die sensibilisiert
René Amstutz erklärt: «Ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz steht auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Bei den Insekten sind es sogar zwei Drittel.» In den letzten Jahrzehnten sei die Biomasse, also die Anzahl Insekten, um fast drei Viertel geschwunden. «Auch bei den Bienen und bei den Schmetterlingen. Der Rückgang ist dramatisch.»
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Insekt
02:20 min, aus 100 Sekunden Wissen vom 31.07.2024.
Bild: SRF / Sebastien Thibault
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 20 Sekunden.
Dafür will die Naturschutzorganisation die Menschen sensibilisieren. «Wir wollen ein Mittel zur Verfügung stellen, das einfach zugänglich ist», sagt Biologe Amstutz. «Man kann die Welt entdecken, mit den Smartphones. Das kann dazu führen, dass mehr Leute auf die Insekten aufmerksam werden.»
Nun kriecht ein etwa fünf Millimeter langes Insekt mit zwei orangen Punkten über ein Brennnesselblatt. René Amstutz richtet sein Handy darauf. «Nicht bewegen ... Sieht ziemlich einfarbig aus, mit zwei orangen Tupfen … Ich versuche es mal … Den kenne ich definitiv nicht.»
Aber der Treffer in der Datenbank sieht nicht schlecht aus: Eine Wanze sei es auf jeden Fall. Und die App gibt an: Es ist die rote Weichwanze. Deraecoris ruber. Im Bild auf der App hat sie ebenfalls zwei orangene Pünktchen. Wieder ein Tierchen kennengelernt.
Diese drei Insektenerkennungsapps empfiehlt Bähram Alagheband
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iNaturalist: Die App ist aus meiner Sicht in vielerlei Hinsicht interessant. Erstens zeigt die App mein Insekten-Foto ca. 150 Millionen Nutzerinnen und Nutzern auf der ganzen Welt an, die ihre Einschätzung zur Bestimmung abgeben können.
Zweitens hat die App eine Funktion, die anzeigt, wo auf der Welt ein Insekt schon gefunden und auf iNaturalist hinterlegt wurde. Auch kann ich in der App sehen, welche Tiere auf einem bestimmten Gebiet schon gesichtet wurden.
Drittens können über die App auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Bilder zugreifen, was spannende Folgen haben kann: Ich habe vor langer Zeit einmal eine spezielle Fliege in Sri Lanka fotografiert. Vor kurzem habe ich erfahren, dass das Bild in einer wissenschaftlichen Arbeit verwendet wurde, weil die Fliege eine neue Art war und auch dank den Fotos beschrieben werden konnte. Die Wissenschaft profitiert also auch von iNaturalist.
ObsIdentify: Neben den bekannten Features gibt diese App auch an, ob das gesichtete Insekt – sofern es bestimmt werden kann – häufig oder selten vorkommt.
Auch hier gibt es Personen (Admins von ObsIdentify), welche die abgespeicherten Fotos gegenchecken. In dieser App werden aber offenbar nicht alle Beobachtungen von jemandem kontrolliert.
Pro Natura: Viele bekannte oder häufige Schweizer Arten sind meiner Meinung nach hier drin. Die App bietet den Nutzerinnen und Nutzern, die sich mit Insekten ein erstes Mal befassen und darüber informieren wollen, einen guten Einstieg.
Dank der Bilderkennung können bekannte und häufige Schweizer Insektenarten meist gut bestimmt werden. Wer nicht mittels selbstgeknipsten Fotos bestimmen will, kann sich anhand in der App enthaltenen Fotos und Informationen Stück für Stück vorarbeiten und zum Beispiel vom Käfer zum Bockkäfer und schliesslich zum Variablen Widderbock gelangen.
Grosser Vorteil dieser App: Wer das Tier bestimmt hat, erhält viele spannende und nützliche Informationen zum gefundenen Schweizer Insekt. Das bieten die anderen Apps nicht.
Wer es genauer haben will, aber kein Insektenbuch mit auf die Wanderung nehmen oder jedes Mal eine Insektenexpertin oder einen -experten fragen möchte, kann sein Foto auch durch mehrere Apps laufen lassen (z.B. iNaturalist und Pro Natura). Und so womöglich zu einer klareren Antwort kommen.
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