Auch wenn wir annehmen, dass bei Säugetieren die Männchen grundsätzlich grösser sind, trifft das auf die meisten Arten nicht zu. Diese weitverbreitete Annahme wurde letztes Jahr widerlegt. Und selbst wenn die Männchen grösser sind, heisst das noch lange nicht, dass sie auch die Chefs sind. Bestes Beispiel: unsere nächsten Verwandten, die Bonobos.
Obwohl die Bonobo-Männchen körperlich überlegen sind, liegt oft mehr soziale Macht bei den Weibchen. Das heisst konkret: Sie entscheiden, wann und mit wem sie sich paaren. Unerwünschte Avancen können sie abwehren. Und auch beim Fressen haben sie das Sagen: Während die Weibchen entspannt am Boden essen, hocken die Männchen oft oben in den Bäumen und hoffen auf eine Chance, etwas abzubekommen.
Wie es den Weibchen gelingt, sich durchzusetzen, hat ein internationales Forschungsteam nun in einer Langzeitstudie untersucht. Über 30 Jahre hinweg beobachteten die Forschenden sechs wildlebende Bonobo-Gemeinschaften in der Demokratischen Republik Kongo – dem einzigen Land, in dem Bonobos in freier Wildbahn vorkommen.
Die Forschenden stellten mehrere Vermutungen auf: Vielleicht sind Weibchen so dominant, weil Männchen nicht erkennen, wann ihre potenziellen Partnerinnen fruchtbar sind? Oder weil sich soziale Hierarchien im Lauf der Zeit festigen? Die Daten sprechen für eine andere Erklärung: Weibliche Bonobos bilden Koalitionen – sie unterstützen sich gegenseitig, vor allem wenn Männchen aggressiv werden.
Es ist das erste Mal, dass wir zeigen können, wie weibliche Solidarität die klassische, männlich dominierte Machtstruktur im Tierreich umkehren kann.
«Das erste Anzeichen ist das ohrenbetäubende Schreien, bei dem man sich die Ohren zuhalten muss», sagt Verhaltensforscherin Barbara Fruth laut Medienmitteilung des Max-Planck-Instituts. Oft bilden sich die Allianzen innerhalb von Sekunden, etwa wenn ein Männchen ein Jungtier bedroht. Dann greifen die Weibchen gemeinsam an, jagen das Männchen durch die Bäume – was manchmal zu schweren Verletzungen führt. «Es ist eine brachialische Art, Macht auszuüben. Man weiss, warum diese Männchen nicht versuchen, Grenzen zu überschreiten», so Fruth.
Solidarität unter Fremden
Erstaunlich dabei: Die Weibchen sind meist nicht miteinander verwandt – sie sind aus anderen Gruppen zugewandert. Trotzdem halten sie zusammen. Der Erstautor Martin Surbeck sagt dazu in der Mitteilung: «Es ist das erste Mal, dass wir zeigen können, wie weibliche Solidarität die klassische, männlich dominierte Machtstruktur im Tierreich umkehren kann.»
Zwar gewannen Weibchen die meisten Kämpfe gegen Männchen und standen oft im Rang über ihnen, doch: «Diese Dominanz ist keineswegs die Regel», sagt Fruth. In manchen Gemeinschaften hatten die Weibchen klar die Oberhand, in anderen nicht.
Auch wenn die aktuellen Daten dies nicht belegen, halten die Autorinnen und Autoren es für wahrscheinlich, dass auch die Fortpflanzungsautonomie eine Rolle spielt. Die Fruchtbarkeit der Weibchen ist für Männchen kaum einzuschätzen, was aggressive Paarungsversuche ineffizient macht. Zukünftige Studien sollen diesem Aspekt weiter nachgehen.
So bleiben einige Fragen offen. «Es ist mir immer noch ein Rätsel, warum ausgerechnet Bonobos unter allen Tieren weibliche Allianzen bilden», sagt Fruth. Vielleicht wird es auch eines bleiben – aber es ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Macht in der Natur nicht zwingend von Muskeln kommt.