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Kooperation statt Kraft Bonobo-Weibchen verbünden sich – und sichern sich so ihre Macht

Bei Bonobos haben oft die Weibchen das Sagen – etwa bei der Paarung oder beim Zugang zu Nahrung. Eine neue Langzeitstudie untersucht, wie diese soziale Stellung entsteht. Dabei zeigte sich: Die Mechanismen dahinter sind komplex.

Auch wenn wir annehmen, dass bei Säugetieren die Männchen grundsätzlich grösser sind, trifft das auf die meisten Arten nicht zu. Diese weitverbreitete Annahme wurde letztes Jahr widerlegt. Und selbst wenn die Männchen grösser sind, heisst das noch lange nicht, dass sie auch die Chefs sind. Bestes Beispiel: unsere nächsten Verwandten, die Bonobos.

Obwohl die Bonobo-Männchen körperlich überlegen sind, liegt oft mehr soziale Macht bei den Weibchen. Das heisst konkret: Sie entscheiden, wann und mit wem sie sich paaren. Unerwünschte Avancen können sie abwehren. Und auch beim Fressen haben sie das Sagen: Während die Weibchen entspannt am Boden essen, hocken die Männchen oft oben in den Bäumen und hoffen auf eine Chance, etwas abzubekommen.

Mehrere weibliche Schimpansen sitzen oder liegen am Boden und pflegen sich gegenseitig.
Legende: Während Violette, ein ranghohes Bonobo-Weibchen, entspannt auf dem Rücken liegt, pflegen sich andere Mitglieder ihrer Gruppe gegenseitig das Fell. Martin Surbeck/Kokolopori Bonobo Research Project

Wie es den Weibchen gelingt, sich durchzusetzen, hat ein internationales Forschungsteam nun in einer Langzeitstudie untersucht. Über 30 Jahre hinweg beobachteten die Forschenden sechs wildlebende Bonobo-Gemeinschaften in der Demokratischen Republik Kongo – dem einzigen Land, in dem Bonobos in freier Wildbahn vorkommen.

Die Forschenden stellten mehrere Vermutungen auf: Vielleicht sind Weibchen so dominant, weil Männchen nicht erkennen, wann ihre potenziellen Partnerinnen fruchtbar sind? Oder weil sich soziale Hierarchien im Lauf der Zeit festigen? Die Daten sprechen für eine andere Erklärung: Weibliche Bonobos bilden Koalitionen – sie unterstützen sich gegenseitig, vor allem wenn Männchen aggressiv werden.

Es ist das erste Mal, dass wir zeigen können, wie weibliche Solidarität die klassische, männlich dominierte Machtstruktur im Tierreich umkehren kann.
Autor: Martin Surbeck Erstautor

«Das erste Anzeichen ist das ohrenbetäubende Schreien, bei dem man sich die Ohren zuhalten muss», sagt Verhaltensforscherin Barbara Fruth laut Medienmitteilung des Max-Planck-Instituts. Oft bilden sich die Allianzen innerhalb von Sekunden, etwa wenn ein Männchen ein Jungtier bedroht. Dann greifen die Weibchen gemeinsam an, jagen das Männchen durch die Bäume – was manchmal zu schweren Verletzungen führt. «Es ist eine brachialische Art, Macht auszuüben. Man weiss, warum diese Männchen nicht versuchen, Grenzen zu überschreiten», so Fruth.

Solidarität unter Fremden

Erstaunlich dabei: Die Weibchen sind meist nicht miteinander verwandt – sie sind aus anderen Gruppen zugewandert. Trotzdem halten sie zusammen. Der Erstautor Martin Surbeck sagt dazu in der Mitteilung: «Es ist das erste Mal, dass wir zeigen können, wie weibliche Solidarität die klassische, männlich dominierte Machtstruktur im Tierreich umkehren kann.»

Wie Bonobos miteinander umgehen

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Bonobos teilen Nahrung, pflegen einander das Fell oder unterstützen sich im Kampf – auch wenn sie weder verwandt sind noch aus derselben Gruppe stammen. Eine im Jahr 2023 im Fachjournal Science veröffentlichte Studie zeigt: Bonobos bevorzugen jene Artgenossen, die schon innerhalb ihrer eigenen Gruppe häufig geholfen oder geteilt haben. Forschende haben über zwei Jahre mehr als 90 Begegnungen zwischen zwei benachbarten Gruppen beobachtet. Immer wieder gaben Bonobos Nahrung ab, selbst wenn sie dafür nichts direkt zurückbekamen.

Neben kooperativem Verhalten zeigten Bonobos auch Aggression gegenüber fremden Gruppenmitgliedern: Sie drohten mit Gebärden oder griffen andere an.

Eine weitere Studie untersuchte, wie Bonobos und Schimpansen auf Stress bei Artgenossen reagieren. Nach Konflikten schrien oder winselten gestresste Tiere oder rannten davon. Bonobos näherten sich den betroffenen Tieren, berührten sie sanft oder setzten sich dicht neben sie. Besonders Jungtiere reagierten so und wurden selbst auch häufig auf diese Weise beruhigt.

Zwar gewannen Weibchen die meisten Kämpfe gegen Männchen und standen oft im Rang über ihnen, doch: «Diese Dominanz ist keineswegs die Regel», sagt Fruth. In manchen Gemeinschaften hatten die Weibchen klar die Oberhand, in anderen nicht.

Auch wenn die aktuellen Daten dies nicht belegen, halten die Autorinnen und Autoren es für wahrscheinlich, dass auch die Fortpflanzungsautonomie eine Rolle spielt. Die Fruchtbarkeit der Weibchen ist für Männchen kaum einzuschätzen, was aggressive Paarungsversuche ineffizient macht. Zukünftige Studien sollen diesem Aspekt weiter nachgehen.

Zwei Schimpansen berühren sich gegenseitig am Körper.
Legende: Zwei Bonobo-Weibchen berühren sich bei der gegenseitigen Körperpflege. Mélodie Kreyer/LuiKotale Bonobo Project

So bleiben einige Fragen offen. «Es ist mir immer noch ein Rätsel, warum ausgerechnet Bonobos unter allen Tieren weibliche Allianzen bilden», sagt Fruth. Vielleicht wird es auch eines bleiben – aber es ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Macht in der Natur nicht zwingend von Muskeln kommt.

Naturalistischer Fehlschluss: kein Gut oder Schlecht in der Natur

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Die neue Bonobo-Studie liefert Hinweise darauf, dass sich Weibchen in Kämpfen zusammenschliessen, um sich gegenüber Männchen zu behaupten. Aber Achtung: Naturbeobachtungen zeigen, was existiert – nicht, wie es sein sollte. Dass Bonobo-Weibchen Allianzen bilden, heisst nicht automatisch, dass Kooperation die «richtige» Lebensweise ist. Genauso wenig wäre männliche Dominanz «richtig», nur weil sie bei anderen Säugetieren verbreitet ist.

In der Wissenschaft wird die unbegründete Gleichsetzung von etwas, das ist, mit etwas, das richtig ist, als naturalistischen Fehlschluss bezeichnet. Das logische Problem beschrieb der Philosoph G. E. Moore bereits vor über hundert Jahren. Zusammengefasst: Nur weil etwas in der Natur passiert, also «natürlich» ist, bedeutet das noch lange nicht, dass es ethisch richtig ist.

Wissenschaftsmagazin, 26.4.2025, 12:40 Uhr

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