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Schweiz bis Australien Wie Zürcher Delfinforschende immer wieder für Furore sorgen

Mit ihrer Delfinforschung in Westaustralien sorgt die Universität Zürich regelmässig für Schlagzeilen. Auch die aktuellen Daten haben es in sich: Die Delfine sind unter Stress – der Klimawandel ihr grösster Feind. Genetische Analysen der Tiere und der Umwelt machen die Fakten schonungslos sichtbar.

Delfine, die Werkzeug benutzen und ihr Wissen kulturell weitergeben. Delfinbullen, die als Banden Weibchen entführen, um sich mit ihnen zu paaren. Es mag überraschen: Aber vieles, was man heute über die Delfine weiss, verdankt man Erkenntnissen aus dem Binnenstaat Schweiz. Seit über 40 Jahren erforscht die Universität Zürich an der Westküste Australiens Delfinverhalten und sorgt mit ihren Resultaten oft weltweit für Furore.

«Für mich ist es wie nach Hause kommen. Hier draussen fühle ich mich viel mehr wie ein Biologe als am Irchel», erzählt Michael Krützen «Einstein», welches ihn und sein Team für eine grosse Delfinreportage besuchte. Und der Evolutionsbiologe schiebt gleich nach: «Wenn ich nur im Büro sässe, würden ganz viele gute Ideen gar nicht geboren. Erst wenn ich beim Team vor Ort bin, wenn ich die Delfine im Meer sehe und diese Umgebung spüre, ergeben sich die neuen und spannenden Forschungsprojekte der nächsten Jahre.»

Michael Krützen ist der Kopf hinter den Forschungserfolgen, mit denen die Universität Zürich international ganz vorne mitspielt. Als junger Student kommt er 1996 zum ersten Mal nach Shark Bay: Naturparadies und Unesco-Kulturerbe auf einer Fläche halb so gross wie die Schweiz. 3000 Delfine tummeln sich in der gigantischen Bucht, eine der grössten Populationen weltweit. Es hat ihm von Anfang an den Ärmel reingezogen.

Vor 20 Jahren baut Krützen für die Universität Zürich-Irchel ein eigenes Delfin-Team auf. Die Basis für dessen spektakulären Erfolge sind die mittlerweile zwei Forschungsstationen in Shark Bay, rund 800 Kilometer nördlich der westaustralischen Metropole Perth. Der 56-jährige Professor für evolutionäre Anthropologie leitet heute auch das entsprechende Institut am Irchel. Und er verbringt jedes Jahr mehrere Wochen auf den beiden Forschungsstationen in Down Under.

Delfin-DNA dank Luftgewehr

Krützen erkennt schon früh, dass reine Beobachtungen in der Verhaltensforschung von Delfinen nicht ausreichen. Der Evolutionsbiologe beginnt DNA-Proben zu sammeln, um die Verwandtschaften in der Shark Bay-Population zu analysieren. Er lässt ein spezielles Luftgewehr anfertigen, das bis heute im Einsatz ist: Mit dem Gewehr wird ein Biopsie-Pfeil von einem Boot abgeschossen – so holt man ein wenig Gewebe aus der Flanke des Delfins.

Das kleine Stückchen Haut und Fett hat für uns unendlich Potenzial.
Autor: Svenja Marfurt Evolutionsgenetikerin

Nach dem kurzen – und für das Tier schmerzfreien – Einstich treibt der Pfeil auf dem Wasser und wird eingesammelt. Die Gen-Analysen dieser Proben sind in der Delfinforschung Gold wert, heute mehr denn je.

Gamechanger DNA

Für die Delfin-Biopsien in Australien und ihre Analysen in Zürich ist inzwischen Svenja Marfurt verantwortlich. Die 30-jährige Evolutionsgenetikerin ist begeistert von den tiefen Einblicken, die sie durch die Delfin-DNA gewinnt: «Das kleine Stückchen Haut und Fett hat für uns unendlich Potenzial.» Dank ihrer Laboranalysen konnte die Doktorandin unter anderem rekonstruieren, dass die Delfinpopulation von Shark Bay vor 12’000 bis 15’000 Jahren entstand.

Im Prinzip vor nicht allzu langer Zeit, doch dieses Wissen hilft den Zürcher Forschenden, um beispielsweise die Anpassungsfähigkeit der Delfine an den fortschreitenden Klimawandel besser zu verstehen.

Shark Bay-Delfine jagen mit Werkzeugen

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Im westaustralischen Shark Bay stülpen sich gewisse Delfine auf der Futtersuche einen Schwamm über die Schnauze, gründeln damit den Meerboden auf und schnappen sich so die aufgescheuchten Fische.

Wegen des englischen Wortes für Schwamm nennt man diese Delfine «Spongers». Ihr Verhalten kann nirgendwo sonst auf der Welt beobachtet werden. Dank Gen-Analysen fand Evolutionsbiologe Michael Krützen (Universität Zürich) heraus, dass alle «Spongers» von derselben maternalen Linie abstammen.

Offenbar hatte ein Delfinweibchen die Technik erfunden und dann an seine Jungen weitergegeben. Und diese wiederum an ihren Nachwuchs. Das bedeutet: Nicht nur Menschen oder Menschenaffen geben ihre Kenntnisse kulturell weiter, sondern auch Delfine. Dies ist ein weiterer Beleg für die Intelligenz der Meeressäuger.

Wetterextreme werden häufiger und dauern länger. Die Mehrheit der Meeressäuger kommt mit veränderten Umweltbedingungen nicht klar. In Shark Bay gibt es aber auch solche, die weniger unter Druck sind. Es sind ganz spezielle Delfine: Sie kennen Werkzeug.

Delfine im Klimastress

2011 zeigte eine marine Hitzewelle schonungslos auf, wie verletzlich das riesige Ökosystem von Shark Bay ist. Die Wassertemperatur stieg in kurzer Zeit um bis zu 4 Grad an. Mit dramatischen Folgen: In Shark Bay starb ein Drittel der weltweit grössten Seegraswiesen ab, ein Drama für die ganze biologische Vielfalt, die zwischen ihren Grasbüscheln lebt oder dort auf Jagd geht. Wie die Delfine.

Es kam zu Übersterblichkeit, und die Weibchen brachten weniger Kälber zur Welt. Die Situation hat sich bis heute nicht ganz entschärft, wie auch die aktuellen Daten des Zürcher Forschungsteams zeigen.

Den Ozean auf Löschpapier

Wie stark hat der Klimawandel den Lebensraum der Delfine verändert? Wie steht es um die Biodiversität von Shark Bay? Welche Veränderungen setzen den Delfinen am meisten zu? Um Antworten zu finden, setzt die Umweltgenetikerin Manuela Bizzozzero auf eine ebenso innovative wie effiziente Methode: Sie heisst Umwelt- oder auch e-DNA. Mit Wasserproben vor Ort holt sie sich sämtliches Leben im Ozean ins Uni-Labor. «Umwelt-DNA liefert in kurzer Zeit unglaublich viele Informationen. Sie hat als kostengünstiges und nicht-invasives Werkzeug enormes Potenzial zum Monitoring der Meeresbiodiversität.»

In einer Kombination ihrer Umwelt-DNA-Analysen und Satellitendaten konnte die 30-jährige Doktorandin detaillierte Karten über die Meeresumwelt von Shark Bay erstellen. Dank diesen ist es erstmals möglich, die bevorzugten Lebensräume der Delfine und die Verfügbarkeit ihrer Beutetiere in Zeiten der Klimaerwärmung abzubilden.

Die Karten zeigen auch eindrücklich, weshalb Delfine, die mit einem Schwamm auf der Schnauze jagen, besser zurechtkommen. Das Futtergebiet der «Spongers» sind die tiefen Kanäle in Shark Bay, denen marine Hitzewellen weniger anhaben können.

Für Michael Krützen und sein junges Team gibt es noch viele offene Fragen zur Zukunft dieser faszinierenden Tiere. Denn ihr Lebensraum verändert sich rasend schnell. Fest steht: Die Delfine von Shark Bay sind im Klimastress. Spitzenforschung aus Zürich macht dies eindrücklich sichtbar.

SRF 1, Einstein, 06.03.2025, 21:05 Uhr

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