Zum Inhalt springen
Audio
Wasser: Die Umwege des geringsten Widerstands
Aus Kopf voran vom 07.08.2020. Bild: SRF
abspielen. Laufzeit 25 Minuten 6 Sekunden.

Wege des Schweizer Wassers Ein Ausflug zur grössten Quelle der Schweiz

Quellen sind oft nur Rinnsale. Die Orbe aber führt ab Beginn viel Wasser – eines der vielen Gewässer-Rätsel der Schweiz.

Quellen sind oft bloss kleine Rinnsale – aber manche führen gleich zu Beginn so viel Wasser, dass man sich unwillkürlich fragt: Wo kommt denn diese Wassermenge her?

Die grösste Quelle der Schweiz

Eine solche Quelle entspringt im Jura, im Vallée de Joux. Schon der Blick auf die Landkarte verrät viel, nehmen wir die Webseite geo.admin.ch und zoomen rein: Nördlich vom Genfer See liegt Vallorbe.

Durch Vallorbe fliesst die Orbe, erklärt Yves-Pierre Jeannin: «Sie sehen diesen blauen Strich, der durch Vallorbe durchgeht.» Jeannin ist Hydrogeologe und Leiter des Schweizerischen Instituts für Speleologie und Karstforschung in La-Chaux-de-Fonds.

Der blaue Strich ist auf der Karte schon da, wo er anfängt, also direkt an der Quelle, kein dünner Strich, sondern eine ordentlich dicke Linie. Das entspricht der Realität der Flussquelle: «Es ist die grösste Quelle der Schweiz», sagt Jeannin.

Ein Fluss kommt aus einer Höhle im Wald.
Legende: Bei Hochwasser schüttet die Quelle der Orbe bis zu 80 Kubikmeter pro Sekunde – etwa 400 Badewannen pro Sekunde. Freak-Line-Community / Wikimedia Commons

Bei Hochwasser schüttet sie bis zu 80 Kubikmeter pro Sekunde. Das sind etwa 400 volle Badewannen pro Sekunde. An einem durchschnittlichen Tag kommen immer noch um die 11 Kubikmeter in einer Sekunde aus dem Berg.

Eine starke, schwankende «Schüttung» – wie die Fachleute sagen – ist typisch für Quellen, die im Jura entspringen.

Das Wasser und die Tierwelt

Box aufklappen Box zuklappen

Einblicke bei Mission B in die Tierwelt im und am Wasser.

Grosse Fliesswege im Kalkstein

Der Hintergrund: der Jura besteht aus Kalkstein. Weil dieses Gestein klüftig ist, Wasser also eindringen kann, und das eindringende Wasser dann den Kalk löst, entstehen grosse Fliesswege. Mit anderen Worten: viel Platz für viel Wasser.

«Wasser sucht sich immer den kürzesten Weg», sagt Yves-Pierre Jeannin. Wenn unter Tage Platz ist, dann eben auch unter Tage.

Audio
Naturbelassene Flüsse: Der lange Weg zurück
aus Treffpunkt vom 14.07.2020. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 56 Minuten 59 Sekunden.

Im Fall der Orbe ist damit die Frage «Wo kommt das ganze Wasser her?» fast schon beantwortet. Hinter dem Berg, an dessen Hang sie entspringt, liegt der Lac Brenet. Wenn man auf der Karte auf das nordwestliche Seeufer reinzoomt sieht man ein Wasserkraftwerk.

Auf den ersten Blick ist das rätselhaft. Aber tatsächlich läuft der See hier sozusagen aus, er verliert Wasser nach unten ins durchlässige Kalkgestein. Dieses Wasser hat sich über Jahrtausende hinweg seinen Weg durch den Berg hindurch zur Quelle der Orbe geschaffen. Etwa zehn Kilometer weit unter Tage.

Ein See in grüner hügeliger Landschaft.
Legende: Das Wasser der Orbe kommt aus dem Lac Brenet. Der See verliert sein Wasser nach unten ins durchlässige Kalkgestein. Wolvus / Wikimedia Commons

Die Menschen in der Gegend hatten schon im 18. Jahrhundert vermutet, dass das Wasser der Orbe aus dem See hinterm Berg kommt. Der Beweis gelang Forschern dann im 19. Jahrhundert.

Dieses Rätsel ist also gelöst, und die Grotte de l’Orbe ist heute eine gut erkundete Schauhöhle, die einen Besuch lohnt.

«Vieles verstehen wir noch nicht»

Aber solche überraschenden Phänomene gibt es noch viele in der Schweiz, im ganzen Jura und in den Voralpen. Dort zum Beispiel die Siebenbrünnenquelle, wo die Simme in einem regelrechten Wasserfall entspringt. Auch sie ist schon recht gut untersucht, ihr Wasser kommt hoch oben vom Plaine-Morte-Gletscher in den Berner Alpen.

Blick auf eine Gletscherebene umgeben von Bergen.
Legende: Vom Plaine-Morte-Gletscher in den Berner Alpen fliesst Wasser sowohl zur Nordsee als auch zum Mittelmeer. sopa / Wikimedia Commons

Aber es gibt noch viel zu lernen über die Wege des Wassers im Schweizer Untergrund, sagt Yves-Pierre Jeannin: «Wir haben immer mehr Daten, aber vieles verstehen wir noch nicht».

Das ist nicht nur ein Ansporn für neugierige Forscher wie ihn. Mehr Wissen über die Wege des Wassers ist auch notwendig für eine sichere Trinkwassergewinnung.

Nur wer weiss, wo das Wasser unterirdisch fliesst und wo eine Verschmutzung herkommen könnte, die plötzlich in einer Quelle oder einem Trinkwasserbrunnen auftaucht, kann das wertvolle Wasser effektiv schützen.

Wieviel da noch zu klären ist, sei den meisten Menschen gar nicht klar, sagt Jeannin: «Für die meisten Leute ist es unbekannt, wie unbekannt der Schweizer Untergrund noch ist.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 7.8.2020, 17.40 Uhr

Meistgelesene Artikel