Quellen sind oft bloss kleine Rinnsale – aber manche führen gleich zu Beginn so viel Wasser, dass man sich unwillkürlich fragt: Wo kommt denn diese Wassermenge her?
Die grösste Quelle der Schweiz
Eine solche Quelle entspringt im Jura, im Vallée de Joux. Schon der Blick auf die Landkarte verrät viel, nehmen wir die Webseite geo.admin.ch und zoomen rein: Nördlich vom Genfer See liegt Vallorbe.
Durch Vallorbe fliesst die Orbe, erklärt Yves-Pierre Jeannin: «Sie sehen diesen blauen Strich, der durch Vallorbe durchgeht.» Jeannin ist Hydrogeologe und Leiter des Schweizerischen Instituts für Speleologie und Karstforschung in La-Chaux-de-Fonds.
Der blaue Strich ist auf der Karte schon da, wo er anfängt, also direkt an der Quelle, kein dünner Strich, sondern eine ordentlich dicke Linie. Das entspricht der Realität der Flussquelle: «Es ist die grösste Quelle der Schweiz», sagt Jeannin.
Bei Hochwasser schüttet sie bis zu 80 Kubikmeter pro Sekunde. Das sind etwa 400 volle Badewannen pro Sekunde. An einem durchschnittlichen Tag kommen immer noch um die 11 Kubikmeter in einer Sekunde aus dem Berg.
Eine starke, schwankende «Schüttung» – wie die Fachleute sagen – ist typisch für Quellen, die im Jura entspringen.
Grosse Fliesswege im Kalkstein
Der Hintergrund: der Jura besteht aus Kalkstein. Weil dieses Gestein klüftig ist, Wasser also eindringen kann, und das eindringende Wasser dann den Kalk löst, entstehen grosse Fliesswege. Mit anderen Worten: viel Platz für viel Wasser.
«Wasser sucht sich immer den kürzesten Weg», sagt Yves-Pierre Jeannin. Wenn unter Tage Platz ist, dann eben auch unter Tage.
Im Fall der Orbe ist damit die Frage «Wo kommt das ganze Wasser her?» fast schon beantwortet. Hinter dem Berg, an dessen Hang sie entspringt, liegt der Lac Brenet. Wenn man auf der Karte auf das nordwestliche Seeufer reinzoomt sieht man ein Wasserkraftwerk.
Auf den ersten Blick ist das rätselhaft. Aber tatsächlich läuft der See hier sozusagen aus, er verliert Wasser nach unten ins durchlässige Kalkgestein. Dieses Wasser hat sich über Jahrtausende hinweg seinen Weg durch den Berg hindurch zur Quelle der Orbe geschaffen. Etwa zehn Kilometer weit unter Tage.
Die Menschen in der Gegend hatten schon im 18. Jahrhundert vermutet, dass das Wasser der Orbe aus dem See hinterm Berg kommt. Der Beweis gelang Forschern dann im 19. Jahrhundert.
Dieses Rätsel ist also gelöst, und die Grotte de l’Orbe ist heute eine gut erkundete Schauhöhle, die einen Besuch lohnt.
«Vieles verstehen wir noch nicht»
Aber solche überraschenden Phänomene gibt es noch viele in der Schweiz, im ganzen Jura und in den Voralpen. Dort zum Beispiel die Siebenbrünnenquelle, wo die Simme in einem regelrechten Wasserfall entspringt. Auch sie ist schon recht gut untersucht, ihr Wasser kommt hoch oben vom Plaine-Morte-Gletscher in den Berner Alpen.
Aber es gibt noch viel zu lernen über die Wege des Wassers im Schweizer Untergrund, sagt Yves-Pierre Jeannin: «Wir haben immer mehr Daten, aber vieles verstehen wir noch nicht».
Das ist nicht nur ein Ansporn für neugierige Forscher wie ihn. Mehr Wissen über die Wege des Wassers ist auch notwendig für eine sichere Trinkwassergewinnung.
Nur wer weiss, wo das Wasser unterirdisch fliesst und wo eine Verschmutzung herkommen könnte, die plötzlich in einer Quelle oder einem Trinkwasserbrunnen auftaucht, kann das wertvolle Wasser effektiv schützen.
Wieviel da noch zu klären ist, sei den meisten Menschen gar nicht klar, sagt Jeannin: «Für die meisten Leute ist es unbekannt, wie unbekannt der Schweizer Untergrund noch ist.»
Forscher schlagen sich die Nächte im Labor um die Ohren, Forscherinnen klettern auf Gletscher und Gipfel. Dank ihnen verstehen wir das Klima besser, bekommen immer schnellere Computer und müssen uns überlegen, ob wir wirklich Gentechbabies wollen.Das Wissenschaftsteam von Radio SRF taucht in die Welt der Forscherinnen und Forscher ein und bringt ihre Geschichten mit: einfach erzählt, Neugier genügt.
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