Die Meldung schlug nicht nur in Fachkreisen hohe Wellen: Eine jahrzehntelange Suche sei zu Ende – ein Supraleiter, der bei Raumtemperatur und normalem Druck funktioniere, sei gefunden.
So stand es in einer südkoreanischen Studie, die im Juli vorab veröffentlicht wurde. Das wäre nichts weniger als der «heilige Gral» der Festkörperforschung. Das Medienecho war gross, die Fachwelt war skeptisch.
Bernhard Keimer, Direktor am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart, entschied umgehend, das Material mit dem Namen «LK-99» zu überprüfen. Er und seine Forschungsgruppe kamen rasch zum Schluss, dass der angebliche Supraleiter in Wahrheit ein guter Isolator ist.
Dahinter sei kein böser Wille gestanden, sagt Keimer: «Hier hat es sich um inkompetente Forscher gehandelt und das konnte man schnell nachweisen.»
Image-Schaden für die Supraleiter-Forschung
Nach rund drei Wochen war der Spuk um «LK-99» vorbei. Trotzdem seien solche Fälle problematisch, findet Bernhard Holzapfel vom Karlsruher Institut für Technologie: «Wenn solche riesigen Erwartungen geschürt werden, die dann regelmässig enttäuscht werden, kommt das ganze Potenzial der Supraleitung in Misskredit.»
Bernhard Holzapfel sieht dabei ein tieferliegendes Problem. Schnelles Publizieren sei für Forschungskarrieren sehr wichtig, auch um Forschungsgeld zu erhalten. So würden laut Holzapfel «mit hohem Risiko Vorabveröffentlichungen getätigt, die sich als nicht korrekt herausstellen.»
Er hat Daten eines anderen Materials leicht verändert und als Daten eines neuen Supraleiters verkauft.
Betrug mit gefälschten Daten
Besonders schwer wiegt ein anderer Fall rund um den Forscher Ranga Dias von der University of Rochester in New York. Anfang November 2023 zog das Fachblatt «Nature» ein Paper des Forschers zurück, in dem ein Raumtemperatur-Supraleiter propagiert wurde. Es ist bereits das dritte zurückgezogene Paper für Dias.
Bernhard Keimer vom Max-Planck-Institut sieht darin einen Betrugsfall: «Er hat Daten eines anderen Materials leicht verändert und als Daten eines neuen Supraleiters verkauft.»
Es gibt viel zu gewinnen
Keimer sieht hinter Dias' Betrug auch eine finanzielle Motivation, denn die Entdeckung eines Raumtemperatur-Supraleiters sei potenziell ein gutes Geschäft. Dias habe für seine eigene Firma Geld gesucht.
Da ein Durchbruch in der Supraleiter-Forschung so immens wäre, kann das Leute anziehen, die zu optimistisch mit Daten umgehen oder sogar die Wahrheit verbiegen
Henrik Ronnow, der in Lausanne an Supraleitern forscht, sagt dazu: «Da ein Durchbruch in der Supraleiter-Forschung so immens wäre, kann das Leute anziehen, die zu optimistisch mit Daten umgehen oder sogar die Wahrheit verbiegen.» Betrüger gebe es aber überall, betont der Leiter des Physikinstituts an der EPFL.
Grosser Optimismus
Dass sich grosse Behauptungen manchmal als falsch herausstellen, sei nicht unbedingt schädlich, so Ronnow. Wie im Marketing gelte, «es gibt keine schlechte PR». Im Sommer war der Begriff Supraleiter ein Social-Media-Trend. Ronnow freut sich: «Auch wenn das wegen einer falschen Behauptung geschah, kamen viele Leute zum ersten Mal mit dem Thema in Kontakt und konnten sich dafür begeistern.»
In der Forschungsgemeinschaft sei der Optimismus gross, dass bald bessere Supraleiter als die heutigen gefunden würden. Da sind sich die befragten Wissenschaftler einig. Bernhard Holzapfel wäre nicht überrascht, wenn schon morgen ein Raumtemperatur-Supraleiter gefunden würde. Die Suche nach dem «heiligen Gral» geht also weiter.