Alle zwei Jahre wird in Bregenz ein neues Opern-Grossspektakel für 6600 Besucher inszeniert und eine komplett neue Bühne gebaut. Dieses Jahr sind es 680 Quadratmeter Bühnenoberfläche und ein über sechs Meter breites und 2.5 Meter tiefes Bassin – gefüllt mit 480‘000 Litern Wasser.
Die Bühne ist eine Art Eisberg, darauf krumme alte Holzhäuser, abgestorbene Bäume und sumpfiges Wasser. Ein überdimensionaler Mond überstrahlt während des ganzen Abends das Geschehen und wechselte die Farbe von Grautönen beim Eindunkeln zu strahlend Weiss oder Blutrot.
Der originale «Freischütz» spielt im böhmischen Wald. Wasser gibt’s dort keins. Den Bodensee deutet der Regisseur und Bühnenbildner um: im extra gebauten Wasserbecken wird er zum verhängnisvollen Sumpf.
Er steht für Märchen- und Schauerhaftes, aber auch für die Seelenlage der Akteure: Die Singenden stapfen und platschen konsequent durchs Wasser, mal gibt’s eine Wasserballetteinlage zu Ännchens Arie oder es wimmeln Untote in der Wolfsschlucht.
Carl Maria von Webers romantische Oper «Der Freischütz» wurde 1821 uraufgeführt und spielt nach dem Dreissigjährigen Krieg. Max, ein einfacher Amtsschreiber, möchte Agathe heiraten, die Tochter des Erbförsters. Gemäss altem Brauch muss er sich zuerst durch einen treffsicheren Schuss beweisen.
Max, ansonsten ein guter Schütze, trifft unter Leistungsdruck nicht mehr. Er geht einen Pakt mit dem Teufel ein. Die Begegnung in der Wolfsschlucht wird zum Seelendrama seiner Versagensängste.
Philipp Stölzl denkt Oper neu und versieht das Stück mit zusätzlichen, modernen Dialogen. Die Musik ist gekürzt und Arien sind durchsetzt mit neuem Text, die Nummern neu zusammengebaut wie im Theater. «Das Netflix-Publikum ist eigentlich mein Zielpublikum» meint Stölzl dazu.
Insbesondere die Frauenrollen sind zeitgemässer, emanzipierter: Agathe und Ännchen trauen Max den treffenden Schuss nicht zu. Zudem gesteht Agathe der Busenfreundin, dass sie schwanger ist. Eine Hochzeit ist notwendig in der Männergesellschaft, sie versuchen zu fliehen. Und es kommt zum innigen Kuss der zwei Frauen.
Am Sound gibt's noch zu feilen
Die deutsche Sopranistin Nikola Hillebrand meisterte am Premierenabend die Partie der Agathe mühelos. Und der junge Schweizer Tenor Mauro Peter führte seine Stimme liedhaft, schlank und klar. Nur war er mit zuviel Hall verstärkt und wurde dennoch in hohen Lagen vom Orchester übertönt.
In Bregenz spielt das Orchester live, aber im Innern des Festspielhauses, zugespielt durch ein ausgeklügeltes Soundsystem. Das klingt zu wenig live – daran muss noch geschraubt werden.
Der Dirigent Enrique Mazzola, Conductor in Residence in Bregenz, führte die Wiener Symphoniker, die beiden Chöre und die Sänger präzis und nuanciert zusammen.
Ende gut, alles gut?
Als Prolog wird ein schlechter Ausgang vorangestellt: Max erschiesst mit einer fehlgeleiteten Kugel Agathe und wird erhängt. Dann erzählt Samiel nochmals neu von vorn: «Aus gestern werde heute», und die Uhrzeiger des schiefen Kirchturms drehen sich zurück.
Zum Schluss kommt’s dann doch zum Opern-Happy End. Stölz will «mit viel erzählerischer Leidenschaft an Oper herangehen». Das gelingt, denn durch solche Brüche holt er das Publikum immer wieder neu ab.