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Berliner Senat plant drastische Budgetkürzungen in der Kultur
Aus Kultur-Aktualität vom 22.11.2024. Bild: Imago/Rolf Zöllner
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Kultur-Eklat in Berlin «Die hochkulturellen Leuchttürme sind wirklich in Gefahr»

Die Berliner Kulturszene soll weniger Geld bekommen: Es geht um nichts weniger als um das Überleben der Kultur.

Was ist passiert? Der Berliner Kulturbranche blühen staatliche Kürzungen in Höhe von rund 130 Millionen Franken. Das sind etwa zwölf Prozent weniger Budget als noch im Vorjahr. Die geplanten Massnahmen des Berliner Senats wurden vergangene Woche durch ein Leck bekannt. Schon zuvor hatte sich unter den Berliner Kulturschaffenden ein Protest gegen Sparpläne formiert. Nun bangen sie teils um ihre Existenz.

Redner vor einem Banner mit dem Text '#Kulturelle Vielfalt'.
Legende: Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) unter Druck: Auf einer Demo des Aktionsbündnis «Berlin ist Kultur» spricht er über die geplanten Kulturkürzungen des Senats. Keystone/DPA/Markus Lenhardt

Sind die Massnahmen schon beschlossene Sache? Nein. Die genauen Zahlen des Senatsbeschlusses werden erst am 27. November öffentlich und verbindlich sein. Am 5. Dezember stimmt das Berliner Landesparlament darüber ab. Möglicherweise werden einige der Zahlen juristisch auch gar keinen Bestand haben, wie der Kulturjournalist Tobi Müller vermutet: «Das wurde sehr top-down entschieden, von den Koalitionsspitzen von CDU und SPD. Die wollten einen Koalitionsbruch vermeiden und haben die Fachabteilungen im Kultursenat gar nicht gefragt.» Auf bestehende Verträge und dergleichen sei keine Rücksicht genommen worden. 

Historisches Theater mit eleganten roten Sitzreihen und verzierten Balkonen.
Legende: Erst jahrelang leere Ränge wegen der Pandemie, bald leere Bühnen wegen fehlender Subventionen? Keystone/EPA/Clemens Bilan

Wen trifft die Kürzung am härtesten? Es trifft vor allem die «personalintensiven Künste», also die darstellenden Künste wie Theater, Ballett und Oper. Aber auch der Kulturapparat ist betroffen. Schliesslich sind an den Produktionen viel mehr Menschen beteiligt, als später auf der Bühne stehen.

Warum protestieren die Theater besonders heftig? Etwa 85 Prozent der Theatergelder sind «gebundene» Ausgaben: für Tarifverträge, Energie und Betriebskosten. Selbst wenn es nicht zu Kürzungen in diesem Ausmass käme, blieben die Fixkosten ein enormes Problem für die Häuser, wie Tobi Müller betont. Für die Kunst bliebe schon jetzt viel zu wenig Geld übrig.

Mann mit Brille in Anzug steht vor Marmorsäulen.
Legende: «Das vielfältige Kulturprogramm – das Markenzeichen von Berlin – steht auf dem Spiel», sagte der Intendant des Berliner Ensembles, Oliver Reese, der Deutschen Presse-Agentur. Keystone/DPA/Britta Pedersen

Was genau würde eine Kürzung der Subventionen für das Theater bedeuten? Laut Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles, müsste das Theater etwa die Hälfte seiner Ausgaben für das Programm einsparen und damit auch die Ausgaben für den Spielplan drastisch kürzen. De facto gäbe es also weniger Produktionen auf der Bühne. Es könne sogar sein, so Tobi Müller, dass einige Bühnen ganz schliessen müssten, wenn es bei den Kürzungen bleibe. Das Problem der zu hohen Fixkosten sei aber schon seit gut 30 Jahren bekannt. «Seitdem redet man über Strukturreformen und hat nichts getan. Jetzt ist die Krise da und man wird handeln müssen.» Sonst habe die Kunst sowieso bald keine Chance mehr.

Wie stark ist die freie Szene abseits der etablierten Theater und Museen betroffen? Müller sieht die freie Szene, die einzelnen Künstlerinnen und Künstler, teilweise doppelt und dreifach betroffen: Neben der ohnehin hohen Inflation von 10 bis 12 Prozent in Deutschland und den auslaufenden Staatshilfen nach der Pandemie käme mit dem Sparzwang ein weiterer herber Schlag: «Das wird wirklich sehr hart für viele Akteure. Da werden sich viele was anderes suchen müssen, um über die Runden zu kommen.»

Welche Auswirkungen hätte das abgespeckte Programm auf den Standortfaktor Berlin? Kultur ist ein entscheidender Faktor für die sogenannten «Sekundäreffekte», von denen im Stadtmarketing immer die Rede ist: Touristinnen und Touristen müssen essen, schlafen, von A nach B kommen. Deshalb, so Tobi Müller, täte Berlin gut daran, die hochkulturellen Leuchttürme zu stützen, denn diese seien derzeit wirklich in Gefahr. «Ob die Stadt das kann, wird man sehen.» Auch der Regisseur Barrie Kosky warnt: «Berlin ohne Kultur ist nur Bielefeld mit big buildings.»

Radio SRF2 Kultur, Kultur-Aktualität, 22.11.2024, 17:10 Uhr. ; 

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