Julien Favreau ist einer der Pfeiler und Star-Tänzer der Kompanie. Nun wechselt er unvermittelt hinter den Vorhang und übernimmt die künstlerische Leitung des Béjart-Balletts Lausanne (BBL). Dies, nachdem der bisherige Leiter, Gil Roman, vor einer Woche Knall auf Fall entlassen wurde.
Mit Julien Favreau setzt der Stiftungsrat nicht nur auf den Publikumsliebling der Lausanner Ballett-Fans. Favreau geniesst offenbar auch intern grossen Rückhalt: Seine Nomination wurde von den Tänzerinnen und Tänzern der Kompanie offenbar mit einem langen Applaus quittiert.
Favreau gehört quasi zum BBL-Inventar: Der gebürtige Franzose war 1994 in die zur Kompanie gehörenden Ballett-Schule «Rudra Béjart» eingetreten. Nach nur einem Jahr holte ihn Maurice Béjart in die Kompanie, wo er zahlreiche tragende Rollen tanzte.
Favreau kennt die berühmten Choreografien des verstorbenen Altmeisters Béjart. Das freut Grégoire Junod, Stadtpräsident von Lausanne und Vizepräsident der BBL-Stiftung: «Julien Favreau ist einer der wenigen verbleibenden Künstler der Kompanie, die noch während der Béjart-Ära getanzt haben. Das ist sehr wichtig für eine Kompanie mit so einem Repertoire.»
Cholerischer Umgang
Es geht also weiter mit dem Béjart-Ballett – so die unterschwellige Botschaft der schnellen Nomination Favreaus zum Interimsleiter. Für Jean-Pierre Pastori, Lausanner Journalist und Kenner des Béjart-Balletts, kann die Kompanie so einen Bruch vermeiden: «Favreau steht für Stabilität. Da er mit Maurice Béjart selber zusammengearbeitet hat, ist auch er als Nachfolger legitimiert.»
Mit der Absetzung von Gil Roman versucht der Stiftungsrat einen Strich unter die Krise zu ziehen, in der das BBL seit 2021 steckt. Damals zeigten zwei Audits gravierende Mängel in der Leitung der Ballettschule, die daraufhin geschlossen wurde, sowie Fälle von Mobbing und sexueller Belästigung in der Kompanie.
Das führte schliesslich zur Entlassung des Produktionsleiters des BBL. Gil Roman aber konnte sich als künstlerischer Direktor halten. Dies, obwohl auch er durch das Audit scharf kritisiert wurde – als cholerisch und vulgär im Umgang mit seiner Kompanie.
Der berühmte Tropfen
Nun wurde Roman zum Verhängnis, dass er eben jenen Produktionsleiter zu einem BBL-Auftritt in Paris mit anschliessendem Apéro eingeladen hatte, der wegen sexueller Belästigung entlassen worden war. Das sei respektlos nicht nur gegenüber der Kompanie, sondern widerspreche auch der Null-Toleranz-Strategie, so die Stiftungsleitung.
«Ich nehme an, dass dies der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat», so Ballett-Kritiker Pastori. Man dürfe trotzdem nicht vergessen, dass Gil Roman auf künstlerischer Ebene über viele Jahre eine grosse Arbeit geleistet habe.
Darf das BBL noch Béjart tanzen?
Ende April muss Gil Roman gehen – aber nimmt er dabei auch gleich das wertvollste Gut mit, das ihm anvertraut wurde? Roman ist nämlich noch Präsident der Stiftung Maurice Béjart, die die Rechte an sämtlichen Béjart-Choreografien innehat.
Wäre dies der Fall, könnte sich das Béjart-Ballett vor der Situation wiederfinden, keinen «Béjart» mehr tanzen zu dürfen. «Das ist nicht unmöglich», gab Stiftungsvizepräsident Junod gegenüber Radio RTS unumwunden zu. Das Szenario sei aber wenig wahrscheinlich, zumal alle anderen Akteure darauf hinwirken, dass das Ballett weitergeführt werden könne. Eine Ungewissheit bleibt.