Zürichs Kulturdirektor Peter Haerle ist ein Beamter. Kein Prophet. Dennoch wagt er sich im Gespräch weit vor. «Zürich wird bald eine der spannendsten Theaterstädte sein», sagt er.
Das sind Sätze, die man wohl sagen muss, wenn ein kulturpolitischer Umbruch geschieht. Zumal, wenn man ihn zum Teil auch noch selbst verantwortet. Doch diesmal scheint Haerle Recht zu haben.
Viel Geld, wenig Relevanz
Denn mit der Neubesetzung der Intendanz am Schauspielhaus scheint Zürich dem «Modell Stadttheater» einen Innovationsschub versetzt zu haben. Inhaltlich und strukturell.
Bisher galten Stadttheater als gefrässige Monster, die Millionen an Subventionsgeldern verschlingen und ständig an Relevanz verlieren. Die spannenden Debatten finden längst woanders statt, und das Personal auf und hinter den Bühnen spiegelt kaum die Vielfalt unserer Gesellschaft wider.
Dynamisch, jung, international
Zürichs Kulturpolitik will darauf eine erste Antwort finden. Mit Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg treten zwei Intendanten an, die das «Stadttheater des 21. Jahrhunderts» erforschen und kreieren wollen. Ein Theater, das dem neuen Kulturleitbild der Stadt für die Jahre 2020-2023 entsprechen soll.
Zürich will innovative, experimentelle Kulturformen fördern. Das legte jüngst der Stadtrat fest. Kultur soll in der Dynamik einer wachsenden Metropole, die immer grösser, jünger, vielfältiger und internationaler wird, eine wichtige Rolle spielen. Sie soll auf die Diversität der Stadt reagieren.
Haerle hat die Findungskommission für die neue Intendanz geleitet. Natürlich habe das neue Kulturleitbild dabei eine Rolle gespielt. «Wir haben Leute gesucht, die sich für die heutige Realität interessieren und auf sie eingehen können», sagt er.
Ein Signal, eine Reaktion
Doch der heutigen Realität entsprechen die Organisationsstrukturen der meisten Stadttheater kaum. Sie ähneln in ihren Hierarchien eher kleinen Fürstentümern. Oben thront ein meist männlicher Intendant, der auch selbst inszeniert und bestimmt, wer neben ihm inszenieren darf. «Theater sind wahrscheinlich die feudalistischsten Systeme, die es in unserer Gesellschaft noch gibt», sagt Haerle.
Noch. Denn die Zeiten der Feudalintendanten, der schreienden Regie-Berserker, scheint zu Ende zu gehen. Von Blomberg sagt dezidiert: «Manchmal braucht es starke politische Signale, weil erst das die Strukturen verändert.»
Das Signal, das die neuen Intendanten senden, ist stark. Es ist die Abkehr von einem überkommenen System: Sie engagierten acht unterschiedliche KünstlerInnen und verpflichten sie, in Zürich zu leben, aus der Stadt heraus ihre künstlerischen Sprachen zu entwickeln.
Ist das neu? Ja.
Bisher waren Stadttheater nur Etappen für reisende Regisseurinnen und Regisseure, die nach der Premiere die Stadt verliessen. Ausserdem sind die acht extrem: So werden Tanz, Performance und Installationen das Sprechtheater ergänzen. Von queerer Performancekunst bis zu Tschechov – vielfältige Theatersprachen sollen unterschiedliche Milieus ansprechen.
Mit diesem Konzept geben die beiden Intendanten Macht ab. Denn die acht sollen kooperieren, gemeinsam entscheiden. Für Stemann nichts Neues. «Ich habe eher Angst vor zu viel Macht. Ich bin kein Regisseur, der rumschreit und Leute zwingt, irgendwas zu machen, bis meine Vision dann auf der Bühne zu sehen ist», sagt er. «Interessanter finde ich, wie meine Vision sich verändert, wenn man in einen kollektiven Prozess eintritt. Das ist für mich im Wesen Theater.»