Theaterarbeit und Familie - Kinder unerwünscht? Mütter sind am Theater oft tabu
Nur in jedem dritten Stück führt eine Frau Regie, auch weil viele Mütter aussteigen. Theater und Familie sind schwer zu vereinen, weiss Regisseurin Camille Hafner. Wo harzt es?
In die Theaterwelt passt eine Mutter nicht: «Kinder sind hier nicht vorgesehen», erklärt Camille Hafner. Als Regisseurin ist sie jeweils sechs Wochen an einem Theater zu Gast und lebt in dieser Zeit nur für die Kunst.
Wenn sie ihre Kinder in der Zeit sehen wolle, müsse sie sie mitnehmen. Das sei aber teuer, erklärt die junge Regisseurin: «Schon eine Wohnung für meinen Mann und die Kinder am Spielort frisst fast die gesamte Gage.» Zumal sie als Berufseinsteigerin wenig verdient.
Die Familienarbeit verheimlicht
Ihr erstes Kind hat Camille Hafner während des Regiestudiums in Deutschland bekommen. «Ich habe versucht, die Care-Arbeit zu vertuschen», sagt Hafner. Es sollte so aussehen, als hätte sie nie eine Pause gemacht und immer viel arbeiten können. Heute lebt sie zusammen mit ihrem Mann, einem freischaffenden Musiker und ihren drei Kindern in Winterthur: «Drei Kinder lassen sich aber nicht wegorganisieren.»
Selbst wenn die Organisation gelingt, klappt nicht jedes Engagement: «Vor ein paar Jahren habe ich einen Auftrag verloren, weil ich Mutter zweier kleiner Kinder bin.» Obwohl sie die Wohnung in einer deutschen Stadt und die Betreuung für die Kinder hätte organisieren können. Die Begründung: Wegen der Kinder könne sie plötzlich ausfallen und sei zu wenig flexibel.
Die Kinder proben mit
Seither kämpft Camille Hafner für mehr Sichtbarkeit und Wertschätzung für ihre zweite Schicht, wie sie die Familienarbeit nennt. Es gibt auch Häuser, die eine andere Kultur pflegen und auf die Bedürfnisse von Eltern einzugehen suchen. Am Pathos Theater in München konnte Hafner an einem Stück arbeiten, in dem es um Care-Arbeit geht, und dabei neue Wege ausprobieren.
Kunst und Care-Arbeit: Drei Fragen an die Geschlechterforscherin
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Vor allem Frauen sind die Leidtragenden, wenn es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht – auch in der Kunstszene. Andrea Zimmermann forscht und lehrt an der Universität Bern zu Geschlechterverhältnissen in Schweizer Kulturbetrieben.
SRF: Warum lässt sich die künstlerische Arbeit an einem Theater schlecht mit einer Familie vereinbaren?
Andrea Zimmermann: Das Bild des Genies, das sich ausschliesslich der Kunst widmet, ist noch immer prägend. Externe Kinderbetreuung muss man aber im Vorfeld organisieren. Wenn ein Regisseur oder eine Regisseurin eine zusätzliche Abendprobe ansetzt, muss eine Schauspielerin verfügbar sein. Wer organisiert dann die notwendige Kinderbetreuung und wer übernimmt die dadurch entstehenden Mehrkosten?
Warum sind noch immer vor allem Frauen betroffen?
Weil Frauen in unserer Gesellschaft häufiger hauptverantwortlich für die Familien- und Sorgearbeit sind. Dazu kommt, dass Schauspielerinnen ab 40 nicht mehr mit gleich vielen Engagements rechnen können wie jüngere Kolleginnen. Das hängt mit Schönheitsnormen zusammen, die vor allem auf den weiblichen Körper angewandt werden.
Aber es scheint sich derzeit einiges zu bewegen im Geschlechterverhältnis: Wie wir auch in anderen Bereichen beobachten können, wollen sich Väter zunehmend in die Kinderbetreuung einbringen.
Warum verändert sich das nur langsam, wehren sich die Mütter und Väter zu wenig?
Im Theater, vor allem in der freien Szene, sind die Netzwerke sehr eng. Die Menschen kennen sich, und entsprechend hoch ist der Druck, nicht als schwierig oder kompliziert zu gelten. Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse sind in diesem Kontext stark ausgeprägt.
Gleichzeitig ist auch die Konkurrenz gross. Viele Eltern versuchen daher, ihre Kinder unsichtbar zu machen, damit ihnen die Familienarbeit nicht zum Wettbewerbsnachteil ausgelegt wird. Einzig hilft, sich als Kollektiv zu organisieren: Im Austausch kann realisiert werden, dass viele scheinbar individuelle Erfahrungen geteilt werden. Das passiert in Netzwerken wie «FemaleAct», die für einen geschlechtergerechten Theaterbetrieb kämpfen.
Das Gespräch führte Nora Meuli.
«Mich mit Care-Arbeit zu beschäftigen und die eigenen Kinder wegzuschicken, wäre komisch gewesen», erklärt Hafner. Also hat sie versucht, die Kinder in die Proben einzubinden, wie sie es vom Zirkus kennt. Dort seien Erwerbs- und Familienarbeit nicht so strikt getrennt. «Das hat auch im Theater erstaunlich gut funktioniert», sagt Hafner. Mit Kindern zu proben sei aber auf Dauer zu laut und darum zu anstrengend.
Babysittergeld und familientaugliche Probezeiten
Es gebe nicht die eine Lösung, sagt Hafner heute. Es gibt verschiedene Ideen: Babysittergeld, wie es der Verein «FemaleAct» fordert, langfristige Besetzungsplanung oder andere Probezeiten, wie sie in der freien Szene bereits üblich sind.
«Wichtig ist vor allem, dass die Kinder und die Bedürfnisse der Betreuerinnen und Betreuer sichtbar werden», findet Hafner. So könne auch die Perspektive von Eltern, die in der Familie stark engagiert sind, in die Kunst einfliessen.
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