Es sind nicht die improvisierten gemeinsamen Moderationen bei «Giacobbo/Müller» oder das Frühstück am Strand von Santo Domingo nach einem nächtlichen Dreh für «Ernstfall in Havanna». Auch nicht die erzwungene Pferdenummer als Sohn der rabiaten Frau Grütter im Zirkus Knie, die mich das Fundament der Persönlichkeit von Mike Müller erkennen liessen.
Natürlich verstand ich sein komisches Talent vom ersten Videosketch auf Anhieb, aber richtig erkannt habe ich seine Kompetenz erst bei einer gemeinsamen Autofahrt auf der A1 von Bern nach Zürich: seine profunden technischen Kenntnisse, nicht nur auf dem Gebiet komplexer Motoren, sondern auch im Strassenbau. Er machte mich mit der Dilatationsfuge vertraut!
Was für mich nur rumpelnde Spalten im Strassenbelag waren, erklärte mir Mike als spezielle Autobahnbauweise im Kanton Aargau: Dilatationsfugen sind Dehnungsfugen, die zur Unterbrechung von längeren Bauteilen notwendig sind, um Spannungsrisse vorzubeugen.
PS statt Promi-Events und Preisverleihungen
Dass er sich für Autos interessiert, einschliesslich aller Modelle, Motorisierungen, Farben, Jahrgänge, Sonderanfertigungen und Kaufpreise, wurde mir klar, als er bei einer weiteren gemeinsamen Fahrt – diesmal über den Ventura Freeway in Los Angeles – plötzlich verstummte und in eine kurze Depression verfiel. Weil er bei einem vorbeifahrenden Auto die Marke nicht ausmachen konnte! Erstaunlich für einen, der seit Jahren einen uralten Volvo mit Bioethanol fährt.
Eine ebenso grosse Faszination bescheren ihm übrigens Flugzeuge. Und ich sollte das hier eigentlich nicht verraten, aber startende und landende Maschinen sind seine Fetische, die ihn immer wieder triggern, stärker als rote Teppiche bei Preisverleihungen und anderen Promi-Anlässen.
Von Grenchen aus zu höheren Weihen
Aber was schreibe ich hier von Auto- und Flugverkehr, wo es doch um einen der profiliertesten und beliebtesten Schauspieler und Komiker der Schweiz geht! Überschüttet mit Auszeichnungen, die ihn bestimmt freuen, die er aber mit seiner berühmten «Jurasüdfuss»-Coolness wegsteckt.
Geboren ist er übrigens in Grenchen, was er unverständlicherweise gerne verheimlicht, obwohl er sich seither zum berühmtesten Oltner hochgearbeitet hat. Zudem Gründer des Theaterstudios, Imitator, Kabarettist, Kellner der Improvisationstheater-Truppe Harul’s Top Service, Starkomiker im Circus Knie, Darsteller in den renommiertesten Theaterproduktionen, Spielfilmen und natürlich TV-Serien: Mit seiner «Bestatter»-Figur hauchte er als kluger Totengräber mit Polizeihintergrund der damals sterbenden TV-Serien-Branche neues Leben ein.
Die Strasse als Schule fürs Leben
Als Nicht-Akademiker mache ich immer wieder gerne dieselben Flachwitze über Mikes Studium an der Uni während 34 (oder so) Semestern, bin aber jeweils trotzdem erstaunt, wie leicht er aus den Überbleibseln der Philosophievorlesungen und den Büchern seines Lieblingsphilosophen Rousseau schöpft. Vielleicht verhält es sich in der Philosophie und in der Theaterkunst ähnlich – für den Erfolg erübrigt sich ein abgeschlossenes Studium oder eine Schauspielschule.
Ich vermute, echte Lebensschule war Mikes Arbeit als Taxifahrer in den Strassenschluchten und Milieuvororten von Olten! Oder als Kellner im Restaurant Säli-Schlössli, wo er offenbar Spezialist für Coupe Dänemark war, als Fabrikarbeiter, Berufsschullehrer und Totengräber – wohl der einzige frühe Job, dessen Skills er später für die TV-Serie gebrauchen konnte.
Peter Irniger, Produzent von «Giacobbo/Müller», war verantwortlich, eine interne Liste von Mikes Betätigungen zu führen, nachdem er uns immer mal wieder einen weiteren angeblichen früheren Job genannt hat, was die Redaktion jeweils mit zweifelndem Grinsen quittierte.
Mike Müller ist nicht einer, sondern viele
Heute jedoch ist uns allen das Grinsen vergangen oder zumindest nachträglich peinlich. Denn wie sollte es Mike in den letzten zwei Jahren geschafft haben, nacheinander drei äusserst erfolgreiche Solo-Theaterstücke («Heute Gemeindeversammlung», «Erbsache» und, seit wenigen Tagen, «Klassentreffen») zu schreiben und zu produzieren. Und: dabei alle Charaktere in diesen Stücken abwechselnd selbst zu spielen, ohne diesen Schweizer Figuren im wirklichen Leben und echten Berufen begegnet zu sein?
Wer seine Performance in diesen Theaterstücken mitverfolgt, wie er die Dialekte und Redensweisen der Figuren perfekt beherrscht, in den Dialogen blitzschnell wechselt und so das Publikum vergessen lässt, dass hier ein einzelner Darsteller spielt, wird sich fragen: Wie hat er das geschafft. Ich weiss es mittlerweile: durch Dilatation! Schauspielerische Dehnungsfugen zwischen Dialogteilen, um Spannungsrisse vorzubeugen!
Und zum Schluss?
Neben den populären Auszeichnungen wie dem Alfred-Kerr-Darstellerpreis, dem Tony Award oder dem Hans-Reinhart-Ring muss die Theaterwelt nun zusammen mit der ASTRA einen neuartigen Preis verleihen: die Mike-Müller-Fuge («best dilatation for dramatic art and road construction»). Er wäre der verdiente erste Preisträger!
In freundschaftlicher Bewunderung, happy Birthday und weiterhin gute Fahrt, lieber Mike!