Als nationalistischer Freiheitskämpfer, als Amokläufer, als unpolitischer Kauz oder als anachronistische Witzfigur: Der Schweizer Nationalheld Wilhelm Tell wurde quer durch die Geschichte von links wie rechts immer wieder vereinnahmt und für ideologische Zwecke missbraucht.
In Zürich inszeniert nun der Theatermann Milo Rau das Freiheitsdrama von Friedrich Schiller neu und lädt das Stück mit aktuellen Zeitfragen auf. Kurz vor der Premiere werfen wir einen Blick zurück auf fünf legendäre Tell-Inszenierungen.
1804: Uraufführung am Hoftheater Weimar
Der deutsche Dichter Friedrich Schiller war selbst nie in der Schweiz. Und doch verdankt ihm der Schweizer Nationalheld, der als Sage seit dem Mittelalter überliefert ist, seine Unsterblichkeit.
Den Ansporn, ein Drama über den Freiheitskämpfer zu schreiben, bekam Schiller von Goethe. Dieser schrieb seinem Freund und Konkurrenten von einer Schweizreise und berichtet von der «Fabel vom Tell». Schiller machte sich ans Werk, die Uraufführung fand 1804 im Hoftheater Weimar statt. Es sollte Schillers erfolgreichstes Theaterstück werden.
1933: Ideologisch vereinnahmt von den Nazis
Kurz nach der Machtergreifung 1933 bezeichnete Hitler Schillers Freiheitsdrama als sein Lieblingsstück. Bei einer Aufführung im Deutschen Theater in Berlin kam es zu einer propagandistischen Machtbekundung, in der bei der Rütli-Schwur-Szene die Komparsen den Arm zum Hitler-Gruss streckten.
1941 verbot Hitler, dass Schillers «Wilhelm Tell» weiterhin in Theatern gespielt und in Schulen gelesen werden durfte – aus Angst vor dem Tyrannenmord.
1939: Heinrich Gretler als Volks-Tell in Zürich
Bei dieser Inszenierung wäre man gerne dabei gewesen. Es wird erzählt, dass bei der Rütli-Schwur-Szene das Publikum spontan aufgestanden ist und die damalige Landeshymne gesungen hat. Der Schauspieler Heinrich Gretler als Tell wurde zu einem Symbol für die Geistige Landesverteidigung der Schweiz.
Gretler hatte schon ein paar Jahre davor in Berlin bei einer Tellinszenierung am Deutschen Theater mitgespielt – kurz bevor er Nazideutschland verliess und in die Heimat zurückkam und mit seiner Verkörperung von Tell zum populären Volksschauspieler wurde.
1971: Der Mythos des Freiheitshelden wird demontiert
Max Frisch erzählt in «Wilhelm Tell für die Schule» den Tell-Stoff aus der Sicht von Gessler. Dieser ist bei ihm kein sadistischer Herrscher, sondern ein dicklicher, von Migräne geplagter Ritter ohne «Sinn für Natur».
Er reitet 1291 durch die Innerschweiz und die Eidgenossen bleiben ihm ein exotisches Rätsel. Frisch schreibt witzig und lakonisch und demontierte mit seinem Tell die anhaltenden Réduit-Mythen in der Schweiz.
Next Generation: Die Stauffacherin ist die wahre Heldin
Die Autorin und Regisseurin Julia Haenni gibt in «GO TELL» sechs jungen Frauen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen die Bühne: Mit dem Freiheitshelden gehen sie unzimperlich und erfrischend radikal um.
Das veraltete Männerbild wird von den jungen Menschen lustvoll zerpflückt und als wahre Heldin erkennen sie in Schillers Stück die Stauffacherin und entwerfen mit ihr eine Schweiz, auf die sie stolz sein könnten.