Es war im Jahre 1972. An die Seite des grossen Marlon Brando tritt ein bisher unbekannter Schauspieler. Dank der Rolle in Francis Ford Coppolas Mafiafilm «Der Pate» gewinnt der 31-jährige Al Pacino weltweit das Publikum für sich.
Zu Recht, meint SRF-Filmredaktor Georges Wyrsch: «Die Rolle des Michael Corleone musste Al Pacino sehr zurückhaltend spielen, weil nicht klar ist, was aus diesem Charakter noch werden wird. Aber sogar dort spielt er unglaublich intensiv.» Es verstehe sich von allein, dass Filmregisseure ihn haben wollten.
Mutter und ein raues Milieu
Diese Intensität scheint eine Gabe, die Pacino in die Wiege gelegt wurde. Solange er sich zurückerinnern kann, schauspielert er. Aufgewachsen in armen Verhältnissen im New York der 1940er-Jahre auch aus Notwendigkeit heraus.
Wenn die alleinerziehende Mutter ins Kino gehen wollte, musste sie den Sprössling mitnehmen. Zu Hause spielte Klein Al die Rollen nach. Ein wichtiger Weg, um sich als einsames Kind mit den Erwachsenen zu unterhalten.
In seiner Autobiografie «Sunny Boy» stellt Pacino sein junges Selbst als literaturverliebten Intellektuellen dar – inmitten eines Milieus, das von Missbrauch und Drogenkonsum geprägt ist.
Für Georges Wyrsch eine allzu schöne Geschichte: «Dass ihn die Literatur, das Schauspiel und die Kunst gerettet haben, wirkt etwas forciert. Al Pacino hatte immer die Möglichkeit, sich zu bilden. Aber der Sprung von der Gosse ins Rampenlicht – das wäre verkürzt.»
Von der Schulbühne an den Broadway
Pacinos Weg führt ihn von der Schulbühne zum anarcho-pazifistischen Living Theatre von Judith Malina und Julian Beck, über die berühmte Schauspielschule «The Actors Studio» von Method-Acting-Vater Lee Strasberg bis zum Broadway. Hier erhält er für sein Debüt einen Tony-Award. Die Theaterwelt wird ihm wichtig bleiben.
Auch in der Autobiografie fällt George Wyrsch auf: «Er zitiert immer wieder Theaterautoren, die ihm wichtig sind. Er fühlt sich dieser Literatur viel mehr verhaftet, als dass er einen Marlon Brando oder Francis Ford Coppola zitieren würde.»
Die Ex aus der Schweiz
So kurz wie er es mit seinen Kollegen hält, so kurz kommen auch die Ex-Partnerinnen vor. Für die Schweizerin Marthe Keller findet er positive Worte. Die Mütter seiner Kinder – Jan Tarrant und Noor Alfallah – hingegen werden nicht mal namentlich erwähnt.
In «Sonny Boy» sucht Pacino keine Konfrontation. Ausser mit sich selbst: «Er beschreibt oft, wie er nicht mit Geld umgehen konnte, oder wie er es sich mit den Leuten verscherzt hat», sagt Georges Wyrsch.
So detailliert wie nie lässt er in seine vergangene Alkoholkrankheit blicken. Und spricht zum ersten Mal darüber, wie er wegen einer Corona-Erkrankung einen Herzstillstand erlitt. Ein Licht am anderen Ende habe er bei der Nahtoderfahrung nicht gesehen.
Intim und nahbar
Es sind die Reflexionen über das Leben am Ende des Buches, die es für George Wyrsch besonders lesenswert machen: «Al Pacino spricht über den Tod, über seine Kinder, darüber, was er verpasst hat. Es wird immer persönlicher, ein emotionales Crescendo. Damit man es versteht, muss man auch das Vorhergegangene gelesen haben.»
Die 400 Seiten lesen sich leicht. Der Schreibstil wirkt, als ob Opa Pacino im Schaukelstuhl drauflosplapperte. Ganz persönlich und nahbar, wie er es in seinen grossen Rollen genau nicht war.