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Autobiografie des Ex-Premiers Boris Johnsons Memoiren – tabulos und beschönigend

Mit seinen Memoiren «Unleashed» bringt der britische Ex-Premierminister eine Mischung aus Skandalen, Anekdoten und Eigenlob auf den Markt. Die Enthüllungen über die verstorbene Queen und seine Rechtfertigungen zu «Partygate» werfen erneut Fragen über seinen politischen Stil auf.

Seine neu erschienenen Memoiren «Unleashed» («Entfesselt») zeigen den ehemaligen Premierminister Boris Johnson in gewohnter Manier – selbstbewusst, unterhaltsam, aber auch skandalträchtig. Johnson dreht in seinem Buch seine eigene Geschichte so, dass sie ihm passt. Kritische Themen spielt er herunter oder interpretiert sie um. «Er scheut keine Tabus», beschreibt SRF-Grossbritannienkorrespondent Patrik Wülser die Zeilen Johnsons.

Indiskretion über die Queen

«Mit der Wahrheit jongliert er ziemlich freihändig», sagt Wülser, der das am Donnerstag erschienene Buch gelesen hat. Für Aufsehen sorgt beispielsweise Johnsons Behauptung, die verstorbene Queen Elizabeth II. sei an Knochenkrebs erkrankt gewesen. Auf der öffentlichen Todesbescheinigung steht «Altersschwäche». Ob die Aussage Johnsons der Wahrheit entspricht, lässt sich nicht prüfen. Aber sie erregt Aufmerksamkeit – «Johnson weiss, wie man Schlagzeilen produziert», so Wülser.

Bücherstapel mit Bild von Boris Johnson, Spielzeug-Doppeldeckerbus davor.
Legende: In seiner Autobiografie schreibt Boris Johnson auch, er habe vom Buckingham-Palast den Auftrag erhalten, Prinz Harry davon abzuhalten, nach Kalifornien auszuwandern. Das wurde vom Palast dementiert. Reuters/Hollie Adams (10.10.2024)

Einige Skandale während seiner Zeit in der Downing Street rechtfertigt Johnson in seinem Buch als harmlos. Aus regelmässigen Lockdown-Partys werden harmlose Treffen mit einem Bier nach harter Arbeit. Die Luxusrenovierung seiner Wohnung stellt er als notwendige Massnahme dar, da ihm seine Vorgängerin Theresa May ein «marodes» Domizil hinterlassen habe.

Auch schwadroniert er über damalige Pläne, Corona-Impfstoffe in einer militärischen Kommandoaktion aus den Niederlanden zu stehlen. «Da merkt man, das sind Fantasien, und nicht Gedanken eines seriösen Politikers, der sich mit den Fakten beschäftigt», sagt Wülser.

Oberflächlicher Umgang mit Kritik

Als Architekt des Brexit hat er eine tiefgreifende Veränderung in Grossbritannien mitgestaltet, die bis heute weitreichende Folgen für die Wirtschaft und Gesellschaft hat. Zum Beispiel kämpfen Exportunternehmen mit grossem administrativen Aufwand.

In einem aktuellen Podcast wurde Johnson von einem Journalisten zu seiner Brexit-Bilanz befragt. In gewohnt salopper Manier erklärt er, dass es zwar möglicherweise Schwierigkeiten gebe, aber die Freiheit von der EU sei nicht zu unterschätzen. Diese oberflächliche Auseinandersetzung mit auch ernsten Themen zieht sich durch das Buch hindurch.

Einfluss auf die Zukunft der Tories?

Während Johnson sich in seinem Buch als unfehlbarer Politiker inszeniert, kämpft seine konservative Partei um eine Nachfolge für Premier Rishi Sunak. Viele Tories wollen sich von den Eskapaden der Vergangenheit lösen, doch Johnsons Buch ruft die Geister dieser Zeit wieder hervor.

Mann in Anzug mit blonden Haaren spricht.
Legende: Schlagworte statt Substanz: «Diese gespielt unbeholfene Teddybären-Masche zelebriert Johnson immer noch einwandfrei», beschreibt Patrik Wülser den Ex-Premier. Reuters/Hollie Adams (02.07.2024)

«Johnson schreibt hier Geschichte und versucht, die Vergangenheit zu schönen – für die Geschichtsbücher oder auch eine allfällige Rückkehr auf die politische Bühne», so Patrik Wülser. Über eine mögliche Rückkehr hält sich Johnson bedeckt. Doch es gibt Unterstützer, die sich genau das vorstellen können – vor allem, wenn die Partei bei den nächsten Wahlen versagen sollte.

Das schreiben britische Medien:

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«Telegraph»: «Boris Johnson schreibt eleganter als jeder andere Politiker», lobt der «Telegraph». Er steht damit weitgehend alleine da.

«Guardian»: Das Medium verhöhnt das Buch als «Memoiren eines Clowns». «Die meisten Memoiren von Premierministern versuchen bis zu einem gewissen Grad, nachdenklich zu wirken. (...) Aber Boris Johnson ist nicht nachdenklich. Das war er nie und wird es auch nie sein.»

«Times»: Sie urteilt, «Unleashed» sei «ein wichtiges historisches Dokument, aber nicht unbedingt ein wertvolles».

«Economist»: «Boris Johnson zeigt, wie man keine politischen Memoiren schreiben sollte», ätzt der «Economist». Einer von Johnsons Amtsvorgängern, der von ihm so geschätzte Churchill, erhielt den Literaturnobelpreis. Davon dürfte der 60-Jährige weit entfernt sein.

SRF 4 News, 11.10.2024, 06:52 Uhr ; 

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