Der mittelgrosse Campo liegt etwas abseits der grossen Touristenströme – in einer Ecke steht die Kirche, in der Antonio Vivaldi getauft wurde. Gegenüber ist eine kleine Bar. Ich wohne direkt um die Ecke und immer bin ich bis jetzt auf meinem Weg zum Vaporetto, das mich zur Mostra auf dem Lido fährt, an dieser Bar vorbei gegangen. Bis ich mich an einem Abend hinsetze, um noch ein Glas Weisswein zu trinken.
Ein himmlisch leerer Platz
Der Platz ist abends himmlisch leer, nur noch wenige Touristen verirren sich hierher. Der junge Kellner möchte eigentlich schliessen. Aber dann kommen wir ins Gespräch. Sein Italienisch ist nicht besser als meins, und er erzählt mir, er sei erst seit eineinhalb Jahren in Italien.
Vom Filmfestival bekommt er nichts mit. Das sei ja auf dem Lido, nicht in Venedig. Er selber lebe auf dem Festland in Mestre, dort könne er sich eine Wohnung für sich allein leisten. Er habe in einer WG in Venedig gewohnt, aber er lebe lieber allein.
«Du bist eingeladen»
Und dann bittet er mich, zu erraten, woher er komme. Portugal, sage ich, oder Israel oder Südamerika. Alles falsch – er komme aus Ägypten. Als ich erzähle, ich sei noch nie dort gewesen, sagt er mir, ich müsse unbedingt mal hinfahren. Es sei schön, in Ägypten. Nur gerade jetzt vielleicht nicht. Sein Lächeln ist etwas wehmütig.
Mehr will er aber darüber nicht sprechen. Als ich zahlen will, stellen wir uns noch vor. Brigitte, sage ich. Er lässt mich den Namen aufschreiben und schreibt seinen daneben: John steht da. Wir Christen in Ägypten haben solche Namen, oder Georg oder Michael, sagt er.
Warum er von Ägypten weggegangen ist vor eineinhalb Jahren, will er nicht erzählen. Ich kann es mir denken, habe schon viel über die brennenden Kirchen der Kopten gelesen. Am Ende schiebt er mir das Geld, das ich auf den Tresen gelegt habe, mit einem Lächeln wieder zurück. Du bist eingeladen, sagt er zum Abschied.