Kann ein Ort einfach von der Weltkarte verschwinden? In Zeiten von GPS und Google Maps ist das mit etwas technischem Aufwand zu machen.
Jedenfalls stellt der Lehrer von Bacurau in Brasiliens Nordosten eines Tages fest, dass das Dorf auf den Satelliten-Bildern nicht mehr existiert.
Seltsame Geschehnisse
Ein paar Tage zuvor ist seine Mutter, die Matriarchin des Ortes, gestorben. Nachdem Verwandte für die Beerdigung anreisen, beginnen seltsame Dinge zu passieren.
Der Truck, der jeden Tag das Wasser vom Fluss bringen muss, hat bei der Ankunft drei wasserspeiende Löcher. Er muss unterwegs beschossen worden sein.
Mitten in der Nacht rasen plötzlich Pferde von einer benachbarten Hacienda durchs Dorf. Zwei Männer bringen sie zurück und finden die ganze Familie erschossen vor. Noch bevor sie davon berichten können, trifft sie das gleiche Schicksal.
Ein Ufo, das über mordenden Motorradfahrern schwebt, entpuppt sich als Drohne. Hinter dem Ganzen steckt Udo Kier als Michael mit einer Gruppe waffenvernarrter amerikanischer Schiesstouristen.
Schluss mit schön und streng
2016 hat Kleber Mendonça Filhos den strengen, schönen Film «Aquarius» veröffentlicht. Im Vergleich dazu ist «Bacurau» eine ziemliche Überraschung.
Über Jahre hinweg hat der Regisseur mit seinem Ausstatter Juliano Dornelles an diesem Drehbuch geschrieben. Schliesslich haben sie den irren Genre-Mix gemeinsam gedreht.
«Bacurau» ist ein moderner Heimatfilm im Western-Stil, mit Einschlägen von Science-Fiction und Gang-Thriller und weiteren Genres. Es ist die Geschichte einer bedrängten Gemeinschaft, die sich schliesslich zu wehren weiss. Brasiliens Gegenwart und Geschichte spielen hinein.
Wohin will dieser Film?
Der Film lässt einen lange im Unklaren über die Richtungen, die er schliesslich einschlagen wird. Das Publikum trifft auf eine eingespielte, manchmal störrische, manchmal auch verschworene Gemeinschaft, die keine Spur von Hinterwäldlertum an sich hat, sondern eher schon utopische Züge trägt.
Wenn der Film dann im letzten Drittel zum Thriller mit Western-Showdown wird, wechselt er auch punktuell die Perspektive: Plötzlich sind wir mit den Fremden die Gejagten.
Der moralische Kompass gerät ins Rotieren
Genre-Kino darf fast alles. Aber ein Film, der seine Genre-Anleihen für lange Zeit gekonnt versteckt, macht sein Publikum entsprechend nervös, aufmerksam, dankbar und wachsam.
Gerade weil das alles mit fast dokumentarischem Realismus anfängt, kommt der moralische Kompass des Publikums bald ins Rotieren. Ein Effekt, der «Bacurau» einen grossen Vorteil verschafft.
Der Titel ist offenbar der Name eines grossen dämmerungsaktiven Vogels, und damit auch der lokale Ausdruck für den letzten Bus, den man nicht verpassen sollte.
Ein gutes Label für dieses faszinierend eigenständige Stück Kino: Nicht verpassen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 15.5.2019, 07:20 Uhr.