Er tanzt. Nein: Er tänzelt. Er fuchtelt unrhythmisch mit den Handgelenken und trippelt sich ungelenk durch seine Trauer. Germain hat gerade seine Frau verloren. Aber anstatt sich still in seine Wohnung zurückzuziehen, probt der Herr mit Wohlstandsbäuchlein für eine Tanzaufführung.
Grund dafür ist ein Versprechen: Germain und seine Frau Lise haben sich nämlich zugesichert, das Leben des anderen zu Ende zu führen – zumindest die zuletzt begonnenen Aufgaben. Nun muss der Witwer ran.
Germain, gespielt vom wunderbaren François Berléand, tut das mit einer Nonchalance, die ihresgleichen sucht. Am Ende wird er dadurch nicht nur die Herzen des Publikums erobern, er wird auch zum Star des Tanzkollektivs.
Ein Opa auf Heldenreise
Das belgisch-schweizerische Feelgood-Movie «Last Dance», das von RTS koproduziert wurde, erzählt die Geschichte einer Verwandlung: Ein Aussenseiter wächst durch die Aufnahme in eine Gemeinschaft über sich hinaus.
Das mag konventionell klingen. Doch der Film besticht dennoch, vor allem durch seine Zwischentöne. Leise und ohne jede Effekthascherei erzählt Regisseurin Delphine Lehericey etwa den Konflikt Germains mit seinen Kindern. Die überwachen ihren Vater nach dem Tod der Mutter wie sonst Eltern einen Teenager.
Das umgekehrte Rollenverhältnis sorgt regelmässig für Lacher. Spätestens dann, wenn der vom Enkel eingerichtete Handy-Klingelton, eine aufdringliche Melodie à la «Space Invaders», die gut gemeinte Dauerüberwachung auf die Spitze treibt.
«La Ribot» versprüht viel Charisma
Schmunzelnd sieht man auch einer Grande Dame beim Arbeiten zu. Denn die Choreografin der Truppe ist keine Geringere als «La Ribot» (María José Ribot), die sich selbst spielt. Die spanisch-schweizerische Tanzkünstlerin wurde für ihr Lebenswerk einst mit dem Goldenen Löwen geehrt.
Auch schön erzählt: Die Beziehung zwischen Germain und seinem 50 Jahre jüngeren Tanzpartner, verkörpert von «Quartz»-Gewinner Kacey Mottet Klein. Die beiden finden mühelos zueinander: Die Verbindung zwischen den altersungleichen Männern kommt ohne Erklärung aus, funktioniert völlig organisch.
Am Ende eines Lebens braucht es wohl nicht mehr viele Worte. Auch der Schmerz über den Tod erzählt sich still und unaufdringlich, über feine, beiläufige Momente.
Wie gut sie die Klaviatur der Gefühle beherrscht, zeigte Delphine Lehericey bereits in «Le Milieu de l'horizon». Mit dem berührenden Familiendrama gewann sie 2020 den Schweizer Filmpreis.
In «Last Dance» trifft Lehericey den richtigen Ton aber nicht immer. So mutet es recht kitschig an, wie sehr Lise bis zu ihrem Tod den eigenen Gatten verwöhnt: Sie bringt Germain auch nach einem halben Ehejahrhundert lächelnd das Frühstück ans Bett.
Kitsch aus dem echten Leben
Zudem schreiben sich die beiden im Rentenalter Liebesbriefe. Diese romantische Geste fusst laut Delphine Lehericey allerdings auf wahren Begebenheiten. Ihre eigenen Grosseltern hätten das während der Pandemie so gemacht: Als sie in Quarantäne waren, schoben sie sich tagtäglich Briefe unter der Türe hindurch – nach über 70 Ehejahren.
«Last Dance» ist die Geschichte einer beinahe übergrossen Liebe. Viel mehr will sie nicht sein. Und am Ende geht man mit einem Lächeln aus dem Kino, im Wissen, dass es oft weniger darum geht, eine besonders originelle Geschichte zu erzählen. Sondern darum, eine ganz einfache Geschichte auf besonders schöne Weise zu erzählen.