Was um alles in der Welt hat ein ängstlicher Graphiker aus Lausanne im «grössten Minenfeld der Erde» verloren? Claude Baechtold, heute 52, erklärt seinen Roadtrip durch die afghanischen Provinzen im Jahre 2002 so: Er sei arbeitslos und mental immer noch mit dem Unfalltod seiner Eltern beschäftigt gewesen, als ihn ein flüchtiger Bekannter anrief.
Der preisgekrönte Journalist Serge Michel suchte dringend einen Beifahrer für seine geplante Auslandsreportage. Statt sich von einer Brücke zu stürzen, wagte der damals seelisch angeschlagene und beruflich orientierungslose Lausanner den Sprung ins Ungewisse. In Baechtolds eigenen Worten: «Statt für den Abgang aus dem Fenster, entschied ich mich mit 30 Jahren für den Einstieg in ein Auto.»
Plötzlich Kriegsreporter
Es war ein Mitsubishi Pajero, gefahren von einem moralisch Getriebenen, der sich vorgenommen hatte, sich ein differenziertes Bild von Afghanistans Bevölkerung zu machen. Zumal ihm dasjenige der US-Amerikaner, welche als Reaktion auf den 11. September gerade die Taliban aus Kabul vertrieben hatten, erschreckend eindimensional erschien.
Auf die Frage, welche der vielfältigen Verbünde die GI im Zuge der «Operation Enduring Freedom» bekämpften, antwortete der Kommandant der US-Truppen: «Die alle sind der Feind. Wir sind hier, um sie zu zerstören. Das ist das Einzige, was zählt.»
Gefilmt hat Baechtold diese haarsträubende Aussage mit einem Mini-DV-Camcorder, den er kurz zuvor auf dem Basar in Kabul gekauft hatte. Dasselbe Gerät wird er später auf bescheidene Bettler, ortskundige Opiumproduzenten und kamerabewusste Kriegsherren richten. Wobei sich eine alte Faustregel als Richtschnur entpuppte: Die scheinbar unwichtigsten Menschen erzählen oft die interessantesten Geschichten.
Verkleidet, verfahren, verloren
«Riverboom» lädt mit seinem bunten Querschnitt dazu ein, sämtliche Schichten der afghanischen Bevölkerung kennenzulernen. Getragen wird die überraschend vergnügliche Reise aber durch seine drei Protagonisten: Neben dem bereits genannten Ich-Erzähler Claude Baechtold und seinem Landsmann Serge Michel wäre da auch noch die Florentiner Frohnatur Paolo Woods.
Der engagierte Kriegsphotograph hat sich seine Blutgruppe als Lebensmotto in die Haut stechen lassen: B+, englisch ausgesprochen «b(e) positive». Eine Haltung, die auch der Film selbstbewusst vertritt. Statt auf Schreckensbilder in der Endlosschleife setzt «Riverboom» primär auf Situationskomik. Zum Beispiel, wenn die drei Reisenden daran scheitern, sich mit eilig gekauften Kleidern als Einheimische zu tarnen.
Oder wenn das Trio – trotz Warnungen – vor einem Fluss strandet. Ein Schockmoment, der über 20 Jahre später zur Inspirationsquelle für die Wahl des Filmtitels avanciert. Doch warum hat es so lange gedauert, bis «Riverboom» als dokumentarisches Buddy-Movie Gestalt annehmen konnte? Ganz einfach: Weil Baechtolds Aufnahmen vor der Digitalisierung verhühnert und erst vor kurzem wiedergefunden wurden.
Unverhofftes Happy End
Als dieser das Material sichtete, erkannte er die wahre Stärke der dilettantisch gefilmten Bilder, die ursprünglich nicht für die Leinwand gedacht waren.
Sie zeigen, was klassische Journalisten kaum gefilmt hätten: Das wahre Leben dreier um Geschichten, Geld und Gnade ringenden Kriegsreporter, die durch das gemeinsame Abenteuer zu dicken Freunden werden.
Kinostart: 12.9.2024