Das Schweizer Filmschaffen führt kein Nischendasein: Das ist eine Binsenweisheit. Aber die wichtigsten Auszeichnungen am Schweizer Filmpreis 2022 unterstreichen es: Der beste Schweizer Spielfilm «Olga» handelt vom Aufstand in der Ukraine im Jahr 2014 – aus der Sicht einer Kunstturnerin in Magglingen.
Der beste Dokumentarfilm «Ostrov – Die verlorene Insel» erzählt derweil von einer russischen Fischerfamilie auf einer Insel im Kaspischen Meer. Die Fischerei ist illegal, aber es dominiert nichtsdestotrotz der Glaube an das mächtige Russland, das im Propaganda-Fernsehen gezeigt wird.
Kein Opportunismus
Verkürzt könnte man behaupten: Die Schweizer Filmakademie und ihre rund 500 Mitglieder haben sich bei ihren Entscheiden von den Schlagzeilen leiten lassen. Aber das ist falsch: Beide Werke verdienen ihre Auszeichnungen in erster Linie aufgrund ihrer ausserordentlichen cineastischen Qualitäten.
Und natürlich bekommen «Olga» und «Ostrov» diese Preise trotzdem auch wegen ihrer politischen Weitsicht. Denn wichtige Filmkunst bedeutet nicht zuletzt: Dort früh genug hinzuschauen, wo es brennt. Insbesondere dorthin, wo es TV-Teams oft nicht hinschaffen – in die unscheinbarsten Nebenschauplätze des Weltgeschehens.
Auch Blicke nach innen
Mit den meisten Nominierungen ins Rennen gegangen war dieses Jahr die Deutschschweizer Spielfilm-Produktion «Soul of a Beast»: Ein klanglich-ästhetischer Filmrausch von der Zürcher Langstrasse. Ein wildes Werk in satten Farben mit intakten Chancen auf dem internationalen Arthouse-Markt.
Prämiert wurde «Soul of a Beast» für die beste Kameraarbeit (Fabian Kimoto und Lorenz Merz, der auch Regie führte), für die beste Musik und für den besten männlichen Hauptdarsteller: Pablo Caprez – ein neues Gesicht.
Das sind Preise für formal innovatives, visuell überwältigendes Kunstschaffen ohne Berührungsängste mit dem Traumartigen und dem Unbewussten.
«La Mif»: Kraftvoll und laut
Drei Preise geholt hat sich auch die Genfer Spielfilm-Produktion «La Mif»: Mit einem Cast aus Laien erzählt der Film von Konflikten in einem Heim für Teenagerinnen. Das Filmerlebnis ist aufwühlend, überzeugend und heftig: Es war klar, dass dieser intensive Film beim Schweizer Filmpreis nicht leer ausgehen durfte.
Ausgezeichnet wurde «La Mif» für den besten Schnitt, und damit für das dichte Zusammenhalten einer zeitlich verschachtelten Erzählform. Und vor allem: Claudia Grob als beste Darstellerin und Anaïs Uldry als beste Nebendarstellerin – zwei verdiente Preise an zwei Nichtprofis.
Ein guter Jahrgang
Insgesamt lässt sich sagen: Dem Schweizer Film geht es zurzeit ausgesprochen gut. Da ist junges Blut am Werk. Das sind alles Filme, die nicht schulmeisterlich oder abgehoben daherkommen, sondern die direkt unter die Haut fahren.
Diese Filme sollte man sehen. Und weil der Schweizer Filmpreis zur Sichtbarkeit dieser starken Filme beiträgt, kann man zusammenfassen: Diese Preisverleihung ist mehr als eine glamourös aufgepeppte Branchenveranstaltung. Sie ist wichtig.
Schweizer Filmpreis 2022 – alle Gewinner
Bester Spielfilm | Olga |
Bester Dokumentarfilm | Ostrov |
Bester Kurzfilm | Über Wasser |
Bester Animationsfilm | Dans la Nature |
Bestes Drehbuch | Olga |
Beste Darstellerin | Claudia Grob (La Mif) |
Bester Darsteller | Pablo Caprez (Soul of a Beast) |
Beste Nebendarstellerin | Anaïs Uldry (La Mif) |
Beste Filmmusik | Fatima Dunn, Lorenz Merz, Julian Sartorius (Soul of a Beast) |
Beste Kamera | Lorenz Merz, Fabian Kimoto (Soul of a Beast) |
Beste Montage | La Mif |
Bester Abschlussfilm | Love Will Come Later |
Bester Ton | Jürg Lempen (Olga) |
Spezialpreis | Nicole Hoesli für ihr Szenenbild (Soul of a Beast) |