Die Serie «The White Lotus» zeigt es sehr schön: Blendend aussehende Menschen in herrlichem Ambiente sind meistens echt gruselig. «The White Lotus», eine fiktive Hotelkette, ist das Setting dieser Serie. Nach Hawaii und Sizilien spielt die dritte Staffel nun in Thailand.
Der Plot ist Nebensache und immer ähnlich: Schwerreiche Menschen – die meisten ihres Lebens überdrüssig – fahren in die Ferien, um von ihrem Alltag zu flüchten. Erholung, Party, Luxus – endlich! Klingt paradiesisch, wären da am Ende nicht die Leichen, die unter den Palmen liegen.
Für das Publikum ist das ein Mordsspass. Und das Luxus-Hotel ist das perfekte Ambiente dafür.
Im Hotel ausser Rand und Band
«Das Hotel ist eine Art Zwischenwelt, in der Menschen oft das Gefühl haben, dass Moralgesetze ausser Kraft sind», sagt Kulturjournalistin Marion Löhndorf. Für ihr Essay «Leben im Hotel» ist sie tief in die Welt der Hotels abgetaucht.
Das Hotel ist das Hauptquartier des Ehebruchs.
Löhndorf weiss: Wenn Menschen in Hotels unterkommen, geraten sie nicht selten ausser Rand und Band: «Im Hotel fühlen sich manche Menschen beflügelt, Dinge zu tun, die sie zuhause nicht tun würden.»
Rockstars, die ihre Zimmer zertrümmern: der Klassiker. Aber auch Normalsterbliche kommen in Hotels auf ihre Kosten: von Badeschlappen, die gerne in Koffern verschwinden, bis zur Affäre. Fremdgehen in Hotels ist ein gängiges Delikt, so Löhndorf: «Das Hotel ist das Hauptquartier des Ehebruchs.»
Vergnügen: Eine riskante Sache
«Seit es Hotels gibt, sind sie ein Sonderraum für reiche Leute, die Vergnügen suchen. Vergnügen ist immer auch riskant», sagt auch der Historiker Valentin Groebner, der Tourismusgeschichte zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt.
Damit meint er nicht nur den Ehemann, der vom Putzpersonal in der Besenkammer in flagranti erwischt wird. Oder den potenziell gesundheitsschädlichen Kater nach den Cocktails an der Bar.
«Das Hotel zieht Leute mit eigenen Geschäftsmodellen an», so Groebner. Glücksspieler, Heiratsschwindler – und manchmal eben auch Mörder. Es ist ein scheinbar perfekter Ort für undurchsichtige Geschäfte – und, um Menschen um die Ecke zu bringen.
Ein unheimlicher Ort
«Hotelmorde spielen in der politischen Welt seit Ende des 19. Jahrhunderts eine grosse Rolle», erzählt Groebner – und erinnert sich an einem Fall aus der Schweiz: Uwe Barschel, Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, kam 1987 im Genfer Hotel Beau-Rivage unter bisher unaufgeklärten Umständen ums Leben.
«Hotels können auch eine bedrohliche Seite haben», sagt Marion Löhndorf. Lange Gänge, verschlossene Zimmertüren, die an Gefängnisse oder Krankenhäuser erinnern. Das hat dramatisches Potenzial.
Zu sehen beispielsweise in «The Shining» mit Jack Nicholson, wo ein leeres Grandhotel zum Horrorszenario wird. Oder in «Psycho», wo das Bates Motel sich als Schauplatz für einen Albtraum herausstellt.
Das Hotel als perfekte Bühne
Klingt so, als würde hinter jeder Lobby ein Mörder lauern. Wohl nicht, sonst wäre der Hotel-Tourismus schon tot. Aber das Hotel bietet eine perfekte Bühne für grosse und kleine Dramen: «Hoteliers wissen seit jeher, dass Hotels dramatische Inszenierung sind», so Valentin Groebner.
Der Gründer des Luxus-Hotels Savoy in London sei etwa ein Theatermann gewesen, erzählt Marion Löhndorf. Richard D'Oyly Carte hätte sein Hotel wie ein Theaterbühne «bespielt». Wer sitzt wo beim Dinner? Wer schläft auf welchem Stock? Wer bräunt sich wo am Pool? Wo spannende Menschen sich treffen, kann Explosives entstehen.
«Im Hotel prallen unterschiedliche Welten aufeinander. Und man kann Menschen aufeinander loslassen», erklärt Marion Löhndorf.
Das Personal: Ganz wichtig
Spannend, so Löhndorf, sei das Hotel auch, weil es ein klares System gebe: Gäste und Bedienende. Das Personal spielt eine untergeordnete, aber wichtige Rolle.
Das betont auch Groebner: «Hotelgäste wollen von den richtigen Menschen eingerahmt werden.» Konkret: «Der knackige Kellner darf nicht fehlen». Zum Hotelaufenthalt gehört eben auch das Träumen – vom Flirt vielleicht mit dem Fitnesstrainer.
Alles wird gut – für immer?
Wer im Hotel weilt, will es sich gut gehen lassen. Und noch mehr: «Wir wollen wiederhergestellt werden», so Valentin Groebner. Im Luxus-Hotel ist die Welt noch perfekt – der Mensch fühlt sich unsterblich. «Deswegen darf es auch was kosten.»
Treffend habe es die Schriftstellerin Katja Eichinger einst beschrieben, so Löhndorf: Der Infinity-Pool als Inbegriff des Luxus verheisse, dass das Hier und Jetzt niemals aufhöre.
Nur ist der Urlaub leider vergänglich. Und auch die Gäste nur scheinbar perfekt. «The White Lotus», auch wenn’s nur Fiktion ist, ist ein blühendes Beispiel dafür und der Beweis: Auch im Paradies ist ganz viel Raum für Sünde.