«Ich erschrak, als ich die ausgezehrten und erschöpften Gesichter anderer Angehöriger sah», erzählt Lisa Bachofen. «Warum sind diese Menschen so müde?», dachte sie sich. Das war, als sie sich an eine Selbsthilfegruppe wandte für Angehörige von Menschen mit psychischer Erkrankung. Heute ist sie Präsidentin dieses Vereins, VASK Bern. Lisa Bachofen hat jahrelang ihre psychisch erkrankte Tochter betreut. Heute coacht sie Angehörige.
Was Lisa Bachofen leistet, ist Care-Arbeit. Fürsorgearbeit zu Deutsch. Ein sehr grosses Feld: Care-Arbeit kann die Tochter sein, die den demenzkranken Vater zu Hause pflegt. Der Vater, der das Mittagessen kocht. Die Kita-Betreuerin, die das Baby tröstet.
Viel Verantwortung, wenig Wertschätzung
Obwohl Care-Arbeit ein wichtiger Pfeiler unserer Gesellschaft ist, wird sie noch immer zu wenig wertgeschätzt, sagen die Initianten des Aktionstages «Equal Care Day».
Der Protesttag wurde vor knapp zehn Jahren von einem deutschen Ehepaar ins Leben gerufen. Mittlerweile wird er von einem Verein organisiert. Der 29. Februar ist bewusst gewählt. Ein Tag, der oft übergangen wird – wie die Care-Arbeit. Unsichtbare Arbeit soll sichtbar gemacht werden. Und: Als Arbeit wahrgenommen werden.
Care-Arbeit ist nach wie vor weiblich
Dazu kommt, dass diese Arbeit noch immer nicht auf gleichen Schultern verteilt ist. In der Schweiz leisten Frauen mehr als 60 Prozent der unbezahlten Care-Arbeit.
Um sich um pflegebedürftige Angehörige und Kinder zu kümmern, reduzieren viele das Pensum oder bleiben ganz zu Hause. Das führt zu Einbussen im Lohn, der Karriere und der Rente.
Belastung im Doppelpack
Private Pflege und Betreuung ist zermürbend. Neben dem Job, dem man auch noch nachzugehen hat. «Viele haben keine Zeit, sich mit ihren Bedürfnissen auseinanderzusetzen. Sie stellen ihr eigenes Leben hinten an», erzählt Bachofen.
Niemand ist verpflichtet, den demenzkranken Vater zu pflegen, lautet ein gängiger Einwand. Die Realität sieht oft anders aus: Das Geld für die institutionelle Pflege fehlt, Heime sind überlastet. «Oder die Pflegebedürftigen lehnen externe Hilfe ab», ergänzt Lisa Bachofen. Übrig bleiben die engsten Familienmitglieder. Die privaten Betreuer und Pflegerinnen entlasten das Gesundheitssystem – auf Kosten von sich selbst.
«Viele pflegende Angehörige erzählen, wie einsam und isoliert sie sich fühlen.» Im Umfeld können wenige die Doppelbelastung verstehen. Die grösste Gefahr? Dass Angehörige unter der Last selbst erkranken. Deshalb engagiert sich Lisa Bachofen in der Angehörigenarbeit. «Es kann nicht sein, dass wir wegen Erschöpfung selbst zu Patientinnen werden».
Grund zur Hoffnung
Auch Lisa Bachofen musste Massnahmen ergreifen. Sie hat ihren Job früher als geplant aufgegeben. «Meine Pension hatte ich mir anders vorgestellt.» Ihre Beziehung zu ihrer Tochter sei enger geworden, sagt Bachofen. Heute ist ihre Tochter zufrieden, relativ selbstständig. Dennoch wird sie vermutlich nie wieder einen Job ausüben können.
Missstände gäbe es noch immer, aber auch Grund zur Hoffnung: «Menschen, die sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern, sind zum Thema geworden.» Seit ein paar Jahren gibt es Möglichkeiten, dass pflegende Angehörige teilweise bezahlt werden. «Diese ersten Anstellungen sind ermutigend. Es ändert sich etwas», so Bachofen.